Bild nicht mehr verfügbar.

Dirigent der präzisen Musikalität. Kirill Petrenko.

Reuters

Er kommt auf die Bühne und sieht aus wie die Antithese zum robusten, seine mediale Präsenz virtuos befeuernden Igor Levit. Daniil Trifonov könnte der entrückte, dem Alltag abhanden gekommene fragile Künstler sein, der sich tagelang nur von Notenpapier "ernährt" hat. Während der Vertiefung in die Materie könnte er vergessen haben, auf Basics (wie ausreichend Tageslicht) achtzugeben. Bei seinem am Freitag im Haus für Mozart absolvierten Programm wäre dies auch kein Wunder.

Nicht entrückt, aber eher ekstatisch präsent wirkt er als Pianist bei einem Konzert, das selbst beim Festival Wien Modern als anspruchsvoll durchgehen würde. Zwei pausenlose Stunden durchpflügt und durchhaucht Trifonov die klassische Moderne und reist in Jahrzehntesprüngen bis ins Heute: Die schwärmerische Freitonalität von Bergs Klaviersonate op.1 nutzt er, um aus deren schummrigen Akkordnebeln abstrakte Melodiesternchen behutsam aufsteigen zu lassen. Wie Schreie nach Erlösung muten aber die Strukturen von Prokofjews wilden Sarkasmen op. 17 an, deren finales "Verröcheln" einen quasi zum Zeugen eines Todes werden lässt.

Da ist kein Atemholen, Trifonov geht nur einmal kurz raus: Es folgen Bartók, Copland, Messiaen, Ligeti und Stockhausen. Erst bei Minimalist John Adams und dessen China Gates biegt Trifonov in kulinarische Welten ein, widmet ihnen jedoch ebenso viel Sorgfalt wie den harmonischen Extremen. Das Klavier mutiert zur Spieldose. In Summe zeigt sich: Die Corona-bedingten pausenlosen Konzerte führten bisweilen zu neuem Zusammenhang. Als wäre hier ein Werk entstanden, an dem ein Jahrhundert mitkomponierte.

Großer Abstand

Es gibt natürlich Corona-bedingt auch verzichtbare Phänomene. Die Berliner Philharmoniker etwa nahmen am Samstag die deutschen Abstandsregeln mit ins Große Festspielhaus, was bedeutete: Bläser saßen zwei Meter, Streicher eineinhalb Meter voneinander entfernt. Ungewohnt. Die Könnerschaft dieses Kollektivs, das Dirigent Kirill Petrenko aufs Ganze gehen lässt, konnte bei Schönbergs spätromantischer Wucherung Verklärte Nacht diese instrumentale Distanz etwas vergessen machen.

Als das Streichorchester bei der 4. Symphonie von Brahms zu symphonischer Besetzungsstruktur anschwoll, zeigten sich jedoch Nachteile. Klänge konnten nicht ideal verschmelzen, manche Gruppe wirkte übertransparent.

Packend war es dennoch: Was Petrenko an elastischem Musizieren und präziser emotionaler Vehemenz inszenierte, war Musik-Oscar-verdächtig. Es tönte, als hätte sich während der monatelangen Pause reichlich Spielenergie aufgestaut.

Es tönte – in der Entschiedenheit – verwandt mit Trifonofs impulsivem Beitrag zum Finale eines Festivals, das bezüglich Corona verkündet, "dass kein einziger Fall unter den 76.500 Besuchern gemeldet wurde". Und dass sich die Bruttoeinnahmen auf 8,7 Millionen Euro beliefen und die Auslastung bei 96 Prozent lag. (Ljubiša Tošić, 31.8.2020)