Mustafa Adib ist promovierter Jurist und Politologe und hatte dem früheren Ministerpräsidenten Najib Mikati als Berater gedient.

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Rund vier Wochen nach der verheerenden Explosion im Hafen von Beirut haben im Libanon die parlamentarischen Beratungen über einen neuen Regierungschef begonnen. Präsident Michel Aoun trifft sich seit Montagvormittag mit den unterschiedliche politischen Blöcken, um den künftigen Premier zu küren.

Als Favorit gilt der 48 Jahre alte libanesische Botschafter in Deutschland, Mustafa Adib, wie die Deutsche Presse-Agentur aus Regierungskreisen erfuhr. Er sei von dem früheren Ministerpräsidenten Saad Hariri nominiert worden. Hariri führt im libanesischen Parlament den größten Politblock der Sunniten an. Die politische Landschaft im Libanon ist stark nach ethnischen und konfessionellen Gruppen gegliedert. Posten werden gemäß dieser Gliederung nach einem Proporzsystem vergeben. Der Präsident muss immer ein Christ sein, der Premier ein Sunnit und der Parlamentspräsident ein Schiit.

Massenproteste gegen politische Elite

Der bisherige Ministerpräsident Hassan Diab hatte nach der verheerenden Explosion in Beirut mit 190 Toten und mehr als 6.000 Verletzten Anfang des Monats den Rücktritt der Regierung erklärt. Rund 300.000 Menschen haben durch die Detonation ihr Zuhause verloren. Insgesamt sind 50.000 Häuser, neun größere Krankenhäuser und 178 Schulen beschädigt worden. Die Regierung beziffert den direkten Schaden auf umgerechnet etwa 12,6 Milliarden Euro.

Für den Libanon ist es der zweite Regierungswechsel in weniger als einem Jahr. Diab übernahm das Amt des Ministerpräsidenten erst im Frühjahr, nachdem sein Vorgänger Hariri im vergangenen Oktober nach Massenprotesten gegen Korruption und die Wirtschaftskrise seinen Rücktritt erklärt hatte.

Das Land am Mittelmeer leidet seit Monaten unter einer schweren Krise, die viele Libanesen in die Armut getrieben hat. Die Corona-Pandemie und die schwere Explosion haben die Lage weiter verschärft. Demonstranten bei Massenprotesten fordern grundlegende politische Reformen. Sie werfen der politische Elite des Landes unter anderem Selbstbereicherung und Unfähigkeit vor.

Macron drängte auf Einigung

Präsident Aoun ist angehalten, den Kandidaten für das Premiers-Amt zu nominieren, der die größte Zustimmung unter den Abgeordneten genießt. Hariri plädierte nach einem Treffen mit Aoun dafür, rasch eine aus Experten bestehende Ministerriege zu benennen. Die dominierende Schiitenpartei Hisbollah stellte sich ebenfalls hinter Adibs Nominierung. Adib ist promovierter Jurist und Politologe und hatte dem früheren Ministerpräsidenten Najib Mikati als Berater gedient. Seit 2013 ist er Botschafter in Deutschland.

Am Montagabend wird der französische Präsident Emmanuel Macron im Libanon erwartet. In libanesischen Regierungskreisen hieß es, Macron habe die Führung in Beirut gedrängt, sich rasch auf einen neuen Ministerpräsidenten zu einigen. Der französische Präsident hat die Führung der internationalen Bemühungen übernommen, die Elite des Landes dazu zu bewegen, gegen die verheerende Finanzkrise vorzugehen. Die libanesische Währung hat seit Oktober bis zu 80 Prozent an Wert verloren. (APA, red, 31.8.2020)