Sowohl die einen als auch die anderen erklärten am Sonntagabend ihren Sieg. Nach den Wahlen in Montenegro könnte erstmals eine Koalition ohne die seit 1991 regierende Demokratische Partei der Sozialisten (DPS) unter Milo Đukanović eine Regierung bilden. Trotzdem bleibt die DPS mit über 35 Prozent (30 Mandate) die stärkste Partei in dem Staat mit 620.000 Einwohnern. Das oppositionelle Wahlbündnis "Für die Zukunft Montenegros" erhielt 32,5 Prozent der Stimmen beziehungsweise 27 Mandate. Während die DPS als korrupt gilt, teilweise staatliche Institutionen unterlaufen hat und einige Medien dominiert, haben sich in dem Wahlbündnis neben Konservativen auch völkische Nationalisten, Populisten und Euroskeptiker zusammengetan.

Nach den Wahlen gab es Hupkonzerte in den Nachbarstaaten Serbien und Bosnien-Herzegowina, weil dort agierende, völkisch-nationalistische Kräfte sich nun im Aufwind fühlen. Insbesondere die Demokratische Front (DF), die zu dem Wahlbündnis "Für die Zukunft Montenegros" gehört, unterhält Verbindungen zur serbischen Regierungspartei SNS von Aleksandar Vučić. Deshalb sprachen am Sonntagabend manche bereits von einer Wiederauferstehung großserbischer Ideen.

Oppositionsanhänger feiern in Podgorica das Wahlergebnis.
Foto: AFP/Prevelic

Bunte Koalition

In Montenegro gibt es aber auch liberal-progressive Parteien. Das proeuropäische moderate Wahlbündnis "Frieden ist unsere Nation" bekam 12,55 Prozent und die sozialliberale Bürgerplattform URA 5,7 Prozent der Stimmen. Im Vorfeld der Wahlen haben diese Parteien eine Koalition mit der DPS ausgeschlossen. Die DPS kann zwar mit der Unterstützung der Minderheitenvertreter rechnen, bräuchte aber noch einen anderen Koalitionspartner. Möglich wäre aber auch eine Koalition der Oppositionskräfte, die allerdings inhaltlich völlig entgegengesetzt ausgerichtet sind – insbesondere was die proeuropäische versus die proserbische beziehungsweise die prorussische Ausrichtung betrifft.

Die Wahlbeteiligung lag bei fast 77 Prozent, was für montenegrinische Verhältnisse sehr viel ist. Die DPS erklärte nach den Wahlen, dass sie in der Lage sein wird, eine Regierung zu bilden, während der Führer des Wahlbündnisses "Für die Zukunft Montenegros", Zdravko Krivokapić, meinte, dass "Đukanovićs Regime" gefallen sei. Milo Đukanović, der seit 1991 die längste Zeit entweder als Premier oder als Präsident eine zentrale Rolle innehatte, ist zurzeit Staatschef und demnach auch für den Regierungsbildungsprozess mitverantwortlich.

Starke Verluste

Möglich ist, dass er nach den starken Verlusten seiner Partei – die DPS hat fünf Mandate verloren – nun den Vorsitz abgibt. Der Wahlkampf war von Identitätspolitik geprägt, die von der serbisch-orthodoxen Kirche angefeuert wurde, die sich gegen Đukanović stellte.

Der Streit zwischen Đukanović und der serbischen Orthodoxie eskalierte vor einigen Monaten, als das neue Religionsgesetz im Parlament verabschiedet wurde. Das Gesetz sieht vor, dass religiöse Objekte und Grundstücke, die mit staatlichen Geldern errichtet wurden oder bis zur Eingliederung des Königreichs Montenegros in das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen im Jahr 1918 dem Staat gehörten, wieder Eigentum des heutigen Staates Montenegro werden sollen.

Kampf um das "Heiligste"

Zehntausende Montenegriner, die ansonsten nur schwer zu Protesten zu bewegen sind, demonstrierten im Winter gegen das Religionsgesetz – die serbisch-orthodoxe Kirche behauptete nämlich, dass den Menschen nun ihr "Heiligstes" genommen würde. Der Europarat hat das Gesetz für grundsätzlich unproblematisch erachtet, allerdings einen Dialog mit den kirchlichen Institutionen eingefordert.

In Montenegro gibt es neben der serbisch-orthodoxen Kirche auch eine eigene montenegrinisch-orthodoxe Kirche, die von der serbisch-orthodoxen Kirche bekämpft wird und nur etwa 15 Prozent Anhänger in der Bevölkerung hat. Đukanović kritisierte bereits 2018 die "ausgesprochen destruktive" Rolle der serbischen Orthodoxie gegenüber Montenegro und forderte eine Stärkung der autokephalen Kirche für seinen Staat.

Ärger über die Regierung

Viele Demonstranten, die im Winter auf die Straße gingen, wollten aber auch einfach ihrem allgemeinen Ärger über die Regierung Ausdruck verleihen. Trotzdem ist für viele Religion identitätsbestimmend, obwohl das oft mit Spiritualität nichts zu tun hat, sondern eher mit nationalistischen Identitätskonstruktionen. (Adelheid Wölfl, 31.8.2020)