Viele Eidechsenarten sind dazu in der Lage, ihren Schwanz abzuwerfen, wenn ihnen Gefahr durch Fressfeinde droht. Die als kaudale Autonomie bezeichnete Fähigkeit ist keine neue "Erfindung" der Evolution, sondern existiert bereits seit Hunderten Millionen Jahren: Die Schwanzanatomie von fossilen Mesosauriern, den ältesten bekannten Meeresreptilien, weist ebenfalls auf Sollbruchstellen in ihren Schwanzwirbeln hin.

Rätselhaft ist allerdings, was diesen Tieren die Autonomie bringen sollte, denn nach bisherigem Kenntnisstand hatten sie in ihrem Lebensraum keine nennenswerte Raubtiere zu fürchten. Außerdem benötigten sie ihre Schwänze zum Schwimmen. Ein internationales Forscherteam ist nun dahinter gekommen, was es mit der Sollbruchstelle in den Schwänzen der Mesosaurier auf sich hat.

Rekonstruktion eines rund einen Meter langen Mesosaurus.
Illustr.: Nobu Tamura

Erste Rückkehrer ins Wasser

Mesosaurier waren eine Gruppe von Reptilien, die vor etwa 278 Millionen Jahren in einem Binnenmeer im östlichen Südamerika und südwestlichen Afrika lebten, als diese Kontinente noch als Teil des Superkontinents Pangäa miteinander verbunden waren. Mesosaurier sind insbesondere dafür bekannt, dass sie die ersten Reptilien in der Erdgeschichte waren, die nach der Eroberung des Landes zu einer vollständigen Lebensweise im Wasser zurückgekehrt sind. Darüber hinaus repräsentierten sie schon früh ein Schlüsselindiz für die Theorie der Plattentektonik.

Mesosaurier gehören zu den ursprünglichsten Reptilien und geben uns einen Einblick, welche Merkmale in dem gemeinsamen Vorfahren aller Reptilien vorhanden gewesen sein könnten. Ein umstrittenes Merkmal der Mesosaurier hat bisher jedoch wenig Beachtung gefunden: Ihre fossil überlieferten Schwanzwirbel weisen Strukturen auf, die Schwachstellen im Schwanz einiger heute lebender Wirbeltiere ähneln. Diese Sollbruchstellen ermöglichen in Gefahrensituationen das Abwerfen des Schwanzes, um das Raubtier abzulenken und fliehen zu können.

Ein Wissenschafterteam um Mark MacDougall, Antoine Verrière und Jörg Fröbisch vom Museum für Naturkunde in Berlin leitete die erste gründliche Untersuchung der kaudalen Autotomie bei allen drei bekannten Mesosaurier-Arten. Mithilfe von Dutzenden von Mesosaurier-Fossilien, Röntgen-Computertomographie und Knochendünnschliffen konnten die Forschenden das Vorhandensein der Sollbruchstellen in den Schwanzwirbeln der Mesosaurier im Fachjournal "Scientific Reports" bestätigen, obwohl die Sollbruchstellen nicht ganz so ausgeprägt sind wie bei anderen Tieren.

Die Sollbruchstellen im Schwanz des Mesosauriers Stereosternum (die Maßstabsleiste entspricht einem Zentimeter).
Fotos: MacDougall et al./Scientific Reports

Evolutionäres Relikt

"Allerdings hätte die Fähigkeit, ihren Schwanz abwerfen zu können, Mesosauriern nicht genutzt, da aus ihrem Lebensraum keine Raubtiere bekannt sind und sie ihre Schwänze hauptsächlich zum Schwimmen verwendeten", so Verrière. Trotz des Vorhandenseins dieser Strukturen in den Mesosaurier-Schwanzwirbeln kamen die Forscher daher zu dem Schluss, dass diese Sollbruchstellen wahrscheinlich nicht für kaudale Autotomie verwendet wurden. Stattdessen stellen die Strukturen in Mesosauriern wahrscheinlich ein evolutionäres Relikt dar, eine Struktur, die von ihrem terrestrischen Vorfahren beibehalten, aber nicht verwendet wurde.

"Tatsächlich zeigt die innere Anatomie der Schwanzwirbel, dass die potenziellen Sollbruchstellen durch übermäßiges Knochenwachstum reduziert wurden, was weiter darauf hindeutet, dass diese Strukturen nicht funktionsfähig waren, sondern eher ein evolutionäres Relikt darstellen", erläutert Fröbisch. "Das Vorhandensein von Sollbruchstellen in Mesosauriern erhöht die Anzahl früher Reptilien mit diesen Strukturen, was darauf hindeutet, dass sie ursprünglicher und weiter verbreitet waren als bisher angenommen", ergänzt MacDougall. (red, 7.9.2020)