Bei der Influenza sieht es ganz schlecht aus: Weniger als zehn Prozent der Österreicherinnen und Österreicher lassen sich impfen.

Foto: istockphoto

Während des Corona-Lockdowns und auch danach sind viele Menschen in Österreich nicht zum Arzt gegangen. Vor allem bei Kindern sind dadurch Impflücken entstanden, weiß die Vakzinologin Ursula Wiedermann-Schmidt von der Med-Uni Wien.

Das ist eine schlechte Nachricht, zumal in Österreich die Impfmüdigkeit in der Bevölkerung auch ohne Corona-Pandemie schon groß ist, hieß es am Montag bei einem Gespräch der Plattform Patientensicherheit Österreich in Wien. So leben in Österreich rund 80.000 Kinder ohne sämtliche Impfungen. "Impfungen haben weltweit neben verbesserter Hygiene den größten Einfluss auf den Rückgang von Sterblichkeit und die Verbesserung der Lebensqualität gebracht. Dennoch wird die Akzeptanz in unserer heutigen Gesellschaft geringer", sagte Christiane Druml, Vorsitzende der österreichischen Bioethikkommission.

Vor allem gegen die Grippe lassen sich sehr viele Menschen in Österreich nicht impfen, die Durchimpfungsrate liegt hier jährlich bei unter zehn Prozent. "Bei den Kinderimpfungen haben wir bei der ersten Sechsfach-Impfung eine relativ gute Akzeptanz. Bei der zweiten Masern-Mumps-Röteln-Impfung liegen wir weit unter der erforderlichen Durchimpfungssrate von 95 Prozent", so Wiedermann-Schmidt.

Krise als Chance

Neben der Influenza und den Masern hätte Österreich aber auch bei Impfungen gegen Keuchhusten und Pneumokokken in vielen Bevölkerungs- und Altersgruppen deutlich aufzuholen. Durch die Pandemie ist das Thema Impfen derzeit stark präsent. "Das ist jetzt eine Chance, dass man die Wichtigkeit der Impfungen generell wieder mehr erkennt und sich nicht nur auf Covid-19 konzentriert", so Wiedermann-Schmidt.

Zumal es noch nicht einmal einen absehbaren Zeitpunkt für die Covid-19-Impfung gibt. "Man wird vielleicht im Frühjahr nächsten Jahres die ersten Zulassungsverfahren abgeschlossen haben. Es ist zu erwarten, dass es ein, zwei oder drei Produkte gleichzeitig geben wird. Man geht aber nicht davon aus, dass wir in der Lage sein werden, ein Konzept gleich für die gesamte Bevölkerung zu haben", glaubt die Vakzinologin.

Riesiger Bedarf

Selbst wenn die ersten Sars-CoV-2-Impfstoffe auf den Markt kommen, bei erwartungsgemäß notwendigen zwei Teilimpfungen bedeutet das weltweit einen riesigen Produktionsbedarf. Außerdem müsse in den laufenden klinischen Studien der Phase III – für Wirksamkeit, und Sicherheit – auch erst geklärt werden, wie hoch der Schutzeffekt über alle Altersgruppen hinweg ist.

Laut Wiedermann-Schmidt werden derzeit von der deutschen Impfkommission Stiko und – daran angelehnt – auch vom österreichischen nationalen Impfgremium Modelle für eine Covid-19-Impfkampagne entwickelt. "Dann wird es zu einer Priorisierung kommen. Das werden ältere Menschen und Risikopersonen sein. Zweitens Angehörige des Gesundheits- und Pflegepersonals sowie Beschäftigte in sozialen Einrichtungen."

Die Sicherheitsaspekte rund um eine allfällige Covid-19-Impfung müssten jedenfalls penibel beachtet werden, betont Druml: "Das Einzige, was zu beschleunigen ist, sind die administrativen Abläufe." Hier können die Arzneimittel-Zulassungsbehörden viel helfen. Das dürfe aber nicht auf Kosten der Qualität der klinischen Studien mit Impfstoffkandidaten gehen.

Mehr Solidarität

Wie viele Menschen sich nach Verfügbarkeit einer Impfung gegen Sars-CoV-2 tatsächlich impfen lassen werden, steht auf einem anderen Blatt. Die Expertinnen plädieren für mehr Verantwortung und Solidarität, aber nicht für eine generelle Impfpflicht: "Bis dahin wäre noch viel zu tun", sagt Brigitte Ettl, Präsidentin der Plattform Patientensicherheit Österreich.

Im Mai des Vorjahres haben die Expertinnen allerdings eine allgemeine Impfpflicht für Infektionskrankheiten, die schwere Folgen haben können, empfohlen. Diese sei aber durch die Veröffentlichung des Ibiza-Videos im damaligen politischen Wirbel untergegangen, so Druml.

WHO-Empfehlung

Darüber hinaus, so die Einschätzung der Expertinnen, sollten Menschen, die in Gesundheitsberufen beschäftigt sind, bei Eintritt und auch während ihrer Tätigkeit auf einen bestehenden Impfschutz überprüft werden. Zudem, so Ettl: "Es gibt eine Empfehlung der WHO, dass jeder Arzt-Patienten-Kontakt zur Überprüfung des Impfschutzes benutzt werden sollte." Umgesetzt wird das allerdings kaum.

In der Diskussion um eine Impfpflicht stehe laut Druml auf der einen Seite die größtmögliche Freiheit des Individuums und auf der anderen die Solidarität und Schutzpflicht gegenüber besonders gefährdeten Personengruppen. Und Wiedermann-Schmidt ergänzt: "Es geht nicht nur um den Individualschutz, sondern auch um die Verhinderung der Krankheitsübertragung und -verbreitung." (bere, APA, 31.8.2020)