Struppiger Vogelscheuchenaktivismus bei den Wiener Festwochen: "Farm fatale"

Martin Argyrogla

Die Beatles konnten nicht wissen, dass sie mit dem Welthit Let it be auch einen progressiven Song gegen das Bienensterben in die Welt gesetzt haben: Let it bee! Sie werden nichts dagegen haben, sind Bienen doch im Zuge drängender Umweltschutz- und Klimafragen zu absoluten Sympathieträgern geworden: ohne Bestäubung keine Vegetation, keine Artenvielfalt, kein Sauerstoff. Der Regisseur Philippe Quesne lässt in seinem Stück Farm fatale also endlich eine Biene zu Wort kommen. Sie spricht Schwyzerdütsch. Es ist der Höhepunkt des Gastspiels bei den Wiener Festwochen reframed im Museumsquartier.

Thalia Theater

Sonst haben hier Menschen als Protagonisten ausgedient. Sie sind einfach weg, das kommt in zeitgenössischen Theaterstücken, die sich für das Cyborghafte und das Posthumane unseres Daseins interessieren, immer wieder vor.

Farm fatale, uraufgeführt an den Kammerspielen München im Frühjahr 2019, markiert eine Art Postapokalypse, in der Vogelscheuchen (immerhin menschenähnlich) sich daran gemacht haben, eine bessere Zukunft in Angriff zu nehmen. Den arbeitslos gewordenen Feldbewachern stehen Verzweiflung wie Hoffnung gleichermaßen ins Gesicht geschrieben. Ihnen quillt in der Halle G das Stroh aus den Lumpen, und ihre besenstielsteifen Körper zeigen jene Unbeholfenheit, die einem Neuanfang innewohnt.

Anti-Getöse

Genau darin liegt die Besonderheit von Quesnes Inszenierung. Der französische Regisseur, immer wieder Gast der Wiener Festwochen und bekannt für einen ganz eigenwilligen Zauber, vollbringt hier tragikomische Millimeterarbeit. Noch nie war Aktivismus so langsam, so naiv und tollpatschig und zugleich so unausweichlich wie in der filigranen Textur dieses Abends. Quesne lässt das Anti-Getöse des Politaktivismus erklingen. Hier tritt die Botschaft hinter die Form der Erzählung zurück. Man muss nicht mehr über "Turbokühe" sprechen, es genügt, das Wort in Lettern sichtbar zu halten. Weiters: Strohballen mit affichierten Transparenten, Mistgabeln als Mikrofonständer, Vogelflug mit Flaschenzug: Die Erneuerung der Welt beginnt lowtech.

Mit einfachem Slapstick und dramaturgisch völlig ungestresst legt Quesne die Erzählung an. Die Vogelscheuchen betreiben auf dem Gelände, wo einmal der Bauernhof war, ein Piratenradio, zu dem auch ein Klangarchiv der Natur gehört: Vogelsingen (tja, manchmal muss man seine Meinung eben ändern), Flussrauschen am Abend, Flussrauschen am Morgen.

Schwein mit Klavier

Eigene Musik wird ebenso gemacht, so gut es an einem Hammerklavier halt geht, das einem Kunststoffschwein seitlich umgeschnallt ist. Aber es dürfte reichen, um den Nachbarn (gibt’s noch einen?), der immer noch Pestizide spritzt, zu vertreiben. In diesem postapokalyptischen Vogelscheuchenaktivismus bleibt einiges auf anregende Weise rätselhaft. Vor allem aber betört Farm fatale mit einer unaktivistischen Machart, die auf dieser strohigen Freifläche einer Neuschöpfung Gedankenfreiheit gewährt. (Margarete Affenzeller, 1.9.2020)