Mit Ausnahme der Fünf-Sterne-Bewegung würden die meisten Parteien das für 20. und 21. September angesetzte Referendum am liebsten versenken, so der Politikwissenschafter Günther Pallaver. Im Gastkommentar zeigt er die möglichen Auswirkungen auf.

Seit 40 Jahren wird in Italien darüber diskutiert, die Anzahl der Parlamentarier zu reduzieren. Vier parlamentarische Kommissionen haben seit 1983 erfolglos daran gearbeitet. Diesmal scheint man in der Zielgeraden zu sein, um die Kammer von 630 auf 400 Abgeordnete, den Senat von 315 auf 200 Senatoren zu verkleinern. In keinem anderen EU-Land würde es dann für einen Abgeordneten so viele Wähler wie in Italien benötigen.

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Bei einem Nein für die Reform stünde die Regierung Giuseppe Conte wohl vor dem Aus.
Foto: Reuters / Remo Casilli

Von der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung initiiert, haben letztendlich so gut wie alle relevanten Parteien im Parlament für die Reform gestimmt. Wird in Italien ein Verfassungsgesetz, das viermal durch Kammer und Senat muss, in den letzten beiden Durchgängen mit absoluter, nicht aber mit Zweidrittelmehrheit verabschiedet, haben ein Fünftel der Mitglieder von Kammer oder Senat, 500.000 Wähler oder fünf Regionalräte die Möglichkeit, ein Verfassungsreferendum zu beantragen, das an kein Quorum der Wahlbeteiligung gebunden ist. Diesmal kam der Antrag parteiübergreifend aus dem Senat, mehrheitlich von Forza-Italia-Abgeordneten, die um ihre Mandate bangen.

Auf der Welle der in Italien herrschenden Stimmung gegen die "politische Kaste" traute sich fast niemand, gegen die Reform zu sein. Wenige Wochen vor dem Termin würden mit Ausnahme der Fünf Sterne aber die meisten Parteien das Referendum am liebsten versenken.

Hoffen auf ein Nein

Die rechtskonservative Allianz aus Lega, Forza Italia und Fratelli d’Italia hatte die Reduzierung mit den Fünf Sternen beschlossen, als sie noch eine gemeinsame Regierung bildeten. Seitdem sich die Allianz in der Opposition befindet, bleiben Lega und Fratelli d’Italia zwar bei ihrem Ja zur Reform, engagieren sich aber nicht dafür und hoffen auf ein Nein, weil damit die Regierung von Giuseppe Conte mit dem Hauptaktionär Fünf Sterne mit großer Wahrscheinlichkeit am Ende wäre.

Als der Partito Democratico (PD) die Oppositionsbank drückte, wetterte dieser gegen den "Kahlschlag des Parlaments". Eine Reduzierung der Parlamentarier sei wenig sinnvoll, wenn diese nicht in einem Gesamtkontext erfolge, etwa mit der Neudefinierung des Wahlsystems. Kaum mit den Fünf Sternen an der Regierung, ließ sich der PD die "kontextuellen" Reformen garantieren und stimmte im letzten Durchgang dem Verfassungsgesetz zu, nachdem er zuvor dreimal mit Nein gestimmt hatte. Aber wie Forza Italia ist auch der PD intern gespalten. Für ein klares Ja fordert nun der PD, dass die geforderten Zusatzreformen zumindest in ihrer Grundausrichtung noch vor dem Referendum ins Parlament kommen. Angesichts der knappen Zeiten bleibt diese Forderung eher ein kosmetischer Appell, um interne Rebellen und die Basis zu besänftigen.

Kaum Einsparungen

Die Befürworter der Reform argumentieren gerne mit der Verringerung der Kosten. Eingespart würden 300 bis 400 Millionen pro Jahr. Vor allem aber würde dadurch die Arbeit des Parlaments weniger schwerfällig und dafür effizienter werden.

Die Gegner, vor allem die vielen zivilgesellschaftlichen Komitees für das Nein, weisen auf die geringere Repräsentativität mit einer Reihe von Konsequenzen hin. Es werden weniger politische Kräfte ins Parlament ziehen, politische Minderheiten ausgesperrt bleiben, einige Regionen im Parlament unterrepräsentiert sein. Die hohen Kosten, wird nachgerechnet, gehen zu 42 Prozent auf die Rentenzahlungen und die hohen Ausgaben für das Personal zurück. Die Einsparungen seien deshalb kaum relevant.

Unausgereifte Reform

Nicht von der Hand zu weisen sind die Argumente, die Reform beginne beim Dach anstatt beim Fundament. Eine Reform des perfekten Bikameralismus – die Regierung benötigt das Vertrauen in beiden Häusern, Gesetze müssen zur Verabschiedung im gleichen Wortlaut ebenfalls durch beide Häuser – wäre für eine Effizienzsteigerung der parlamentarischen Arbeit viel wichtiger gewesen, wurde aber 2016 beim damaligen Verfassungsreferendum abgelehnt. Auch damals schlug man den Sack und meinte den Esel. Das Referendum wurde benutzt, um die Regierung Matteo Renzi zu stürzen.

Diesmal entscheidet man über eine Reform, ohne die Auswirkungen geregelt zu haben. So hat die Reduzierung der Parlamentarier Auswirkungen auf die interne Organisation des Parlaments (Kommissionen, Fraktionen), auf die Rechte der Opposition, auf die Wahl des Staatspräsidenten mit einem plötzlich größeren Gewicht der Regionen (weniger Parlamentarier, während die Regionalvertreter gleich bleiben), auf die Wahl der Verfassungsrichter und anderes mehr. Vor allem fehlt ein Wahlsystem mit der Neueinteilung der Wahlkreise. Es wäre die sechste Wahlreform seit 2005. Nach heutigem Stand werden die Parlamentarier reduziert, ohne zu wissen, wie man die neuen wählen wird. Am ehesten scheint ein Verhältniswahlsystem mit einer Fünf-Prozent-Klausel mehrheitsfähig zu sein.

Es wäre nicht das erste Mal, dass es in Italien eines ersten, noch etwas unausgereiften Anstoßes bedarf, um den Reformstau zu überwinden. Der anfängliche Triumph des Populismus könnte letztlich in einen seriösen Reformprozess münden. (Günther Pallaver, 1.9.2020)