Das Forum Alpbach feiert heuer sein 75-jähriges Bestehen. Doch im Jubiläumsjahr ist durch die Corona-Krise alles anders als sonst. Die Konferenz dauert noch bis Donnerstag.

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Der Kreis dreht sich, nach wenigen Sekunden poppt ein Fenster auf. Zu sehen ist ein junger Mann. Er kommt aus Italien, lebt und arbeitet aber derzeit in Paris, wie er erzählt. Zum Forum Alpbach wollte er eigentlich anreisen, aber dann kann eben Corona. Zweimal sei er schon vor Ort dabei gewesen, nächstes Jahr will er wiederkommen. Fünf Minuten sind um, der Italiener verschwindet von der Bildfläche. Stattdessen taucht ein Mann auf, der mit Maske im Zug sitzt. Kurz nimmt er diese ab, um sich vorzustellen. Es wäre sein erstes Jahr im Tiroler Bergdorf gewesen, stattdessen nimmt er jetzt digital teil – wie viele andere auch. Wieder sind fünf Minuten um, wieder verschwindet der Fremde auf dem Bildschirm.

Mit diesen kurzen Online-Begegnungen per Zufallsprinzip will das Forum Alpbach das ersetzen, was heuer in der 2500-Personen-Gemeinde fehlt: der Austausch zwischen den Stipendiaten, zwischen Politikern, Wissenschaftern und Künstlern. Für die Zuhausegebliebenen ist das Online-Speeddating nur ein milder Trost, vor Ort spürt man die Leere.

Wo sich sonst tausende Menschen tummeln, herrscht heuer Stille.
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Der Tumult fehlt und die jungen Leute. Das sagen die Einheimischen, die Veranstalter, die Gäste. Eigentlich hätte 2020 das große Jubiläumsjahr werden sollen: Seit 75 Jahren treffen in Alpbach jährlich Menschen zusammen, um sich über die großen weltpolitischen Themen auszutauschen oder um einfach dabei zu sein. Nur heuer nicht, das Bergdorf wirkt wie leergefegt.

Im Gasthaus Jakober in der Ortsmitte, in dem in normalen Jahren kein Blatt zwischen die Gäste passt, herrscht abends Stille. Nur einzelne Tische sind belegt, der sonst so volle Gastgarten ist weitgehend leer. Und auch in anderen Lokalen im Ort ist die Situation ähnlich.

"Heuer ist gar nix los"

"Es ist trostlos", erzählt Paula Bischofer. Seit fünf Jahrzehnten beherbergt die Alpbacher Wirtin Gäste aus der ganzen Welt. Normalerweise sei ihre Pension im August immer voll, "heuer ist gar nix los", sagt die blonde Frau und blickt aus dem Fenster auf die leeren Straßen. "Das Flair vom Forum fehlt." Gemeint sind damit vor allem die Stipendiaten, die sonst das große Haus Sama in der Ortsmitte füllen.

Das Forum, an dem sie regelmäßig selbst teilnimmt, sehe sie als Geschenk. Der Kongress hätte das Dorf bekanntgemacht, für den Tourismus sei das gut. Aber nicht allen in der Gegend würde das Tamtam gefallen, erzählt die Tirolerin. "Sie müssen sich vorstellen, das Dorf war jeden Tag ein Festplatz."

Ein Bild aus dem Vorjahr. Die Stipendiaten sind in diesem Jahr zu Hause geblieben.
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Das trifft es wirklich: Im Vorjahr besuchten knapp 4.900 Teilnehmer aus 95 Nationen das Forum, davon 818 Sprecher und 600 Stipendiaten. Heuer haben sich rund 6.000 Personen ein Ticket für die Online-Konferenz gesichert, 800 Personen kommen verteilt auf zwölf Tage nach Alpbach. Das Programm wird in diesem Jahr hybrid abgehalten – die Diskussionen werden größtenteils per Livestream ins Internet übertragen.

Das Konzept dürfte trotz des ungewöhnlichen Formates aufgehen: Als etwa Uno-Generalsekretär António Guterres über Multilateralismus sprach, streamten rund tausend Zuseher das Event. Jene, die vor Ort sind, müssen Schutzregeln einhalten, am Eingang des Kongresszentrums wird die Temperatur der Teilnehmer gemessen. Für viele Redner war das Risiko offenbar dennoch zu hoch. Das Programm ändert sich heuer laufend, zahlreiche hochrangige Politiker sagten kurzerhand ab – unter anderem aufgrund der steigenden Covid-19-Fallzahlen in Österreich.

Die Diskussionen finden heuer größtenteils vor einem digitalen Publikum statt. Im Kongresszentrum wird Abstand gehalten.
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Die Ausnahmesituation führt teils zu skurrilen Szenen. So treffen sich Spitzenpolitiker und Top-Ökonomen nicht wie sonst in einem der Gasthäuser, sondern werden in abgelegenen Hütten ohne Publikum bei Diskussionen gefilmt. Beinahe immer dabei ist Franz Fischler, der seit 2012 Präsident des Forums ist.

"Heuer geht das Feeling von Alpbach ab", sagt er zum STANDARD, "das Empathische, Emotionale fehlt." Aber nicht nur das, sondern auch das Geld: Das Forum rechnet heuer mit einem Einnahmenausfall von bis zu einer Million Euro, sagt Fischler. Künftige Konferenzen sieht er aber nicht gefährdet: "Wir haben genug Reserven, wir gehen deswegen nicht pleite." Den Verlust will man zumindest teilweise durch öffentliche Zuschüsse abdecken.

Forum-Präsident Franz Fischler vermisst das "Feeling von Alpbach".
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Für Fischler, der 1986 zum ersten Mal das Forum besuchte, hat das hybride Format durchaus Zukunftspotenzial. Er kann sich vorstellen, dass auch künftig weniger Gäste vor Ort und mehr digital zugeschaltet sein werden. So könnten auch mehr Gäste von weit weg teilnehmen. Das wird allerdings nicht mehr in seiner Entscheidungsmacht liegen. Für den früheren EU-Agrarkommissar ist es das letzte Jahr seiner Präsidentschaft, im Herbst übernimmt Ex-Erste-Chef Andreas Treichl.

Lernjahr für die Zukunft

In Zukunft müsse man die Technik jedenfalls verbessern, meint Fischler. Heuer sei noch ein "Lernjahr" gewesen. Teilweise gab es Schwierigkeiten bei den Rednern, mehrfach sei das Mikro der Gäste gerade dann ausgefallen, wenn der Livestream starten sollte.

Für das heurige Programm ist jedenfalls nicht nur das Forum selbst verantwortlich, auch die Stipendiaten bringen sich digital ein. Die eigentlich für Alpbach besonders wichtige Seminarwoche wurde abgesagt, für die Stipendiaten soll es laut Fischler nächstes Jahr die Möglichkeit geben, wieder vor Ort am Forum teilzunehmen – vorausgesetzt natürlich, dass die Konferenz dann wieder in ihrer ursprünglichen Form stattfinden kann.

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Das Forum Alpbach feiert 2020 sein 75-jähriges Bestehen.
Foto: Franz Hubmann / ÖNB-Bildarchiv, Picturedesk

Für die Stipendiaten ist das heurige Forum jedenfalls eine "große Challenge", erzählt Valerie Hengl vom Forum Alpbach Netzwerk, dem Sprachrohr der Jungen. Das Netzwerk wusste lange nicht, ob überhaupt Stipendiaten nach Alpbach werden reisen können. Als klar war, dass das Forum heuer nicht in seiner üblichen Form stattfinden könne, haben die Klubs beschlossen, "Mini-Alpbachs" in ihren Heimatorten zu organisieren. Diese finden nun parallel zum Forum statt.

Darüber hinaus haben die 35 weltweiten Klubs das Programm maßgeblich mitgestaltet. 70 der 300 Sessions in Alpbach werden laut Hengl vom Netzwerk kuratiert. Dennoch sei heuer alles anders, meint die Sprecherin. Auch ihr fehle das Alpbach-Feeling.

Was bleibt, ist ein intimeres Forum. Eines, das mehr dem Grundgedanken des Forums entspricht, sagen Gäste. Die Teilnehmer irren nicht von einer Diskussion zur nächsten, versuchen nicht drei Empfänge an einem Abend zu besuchen. Stattdessen ist Zeit für längere Gespräche und weniger Koketterie. (Nora Laufer, 1.9.2020)