Die meisten US-Bürger unterstützen die Demonstrationen für Gleichberechtigung, doch nur, wenn sie friedlich bleiben.

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Justin Dunlap, 44 Jahre alt, ein Lichttechniker aus dem Präriestaat Oklahoma, hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Proteste von Black Lives Matter zu dokumentieren. Vor allem in Portland, einer linken Hochburg im Pazifikstaat Oregon, ist er im Einsatz. "Exkursionen in Sachen Demokratie" nennt Dunlap seine Ausflüge. In der Nacht zum Sonntag wurde er zum Zeugen einer Szene, die zum Ausgangspunkt einer neuen Eskalation zu werden droht.

Auf seinem Video ist zu hören, wie Streitende vor einem Parkhaus einander anschreien, bevor sie von einer dicken Wolke, offenbar Pfefferspray, eingehüllt werden. Als Nächstes fallen Schüsse, einige fliehen, während andere einem Mann zu helfen versuchen, der strauchelt und auf dem Gehsteig zusammenbricht. Es habe sich, bezeugt Dunlap, um den Mann gehandelt, der zuvor mit dem Pfefferspray um sich gesprüht hatte. Nach Angaben der Polizei ist er 48 Jahre alt. Sicher ist, dass er, bevor er erschossen wurde, eine Baseballkappe mit der Aufschrift "Patriot Prayer" trug. Das Erkennungszeichen einer Gruppe, die sich 2016 bildete, um in Metropolen, deren Bewohner mehrheitlich progressiv gesinnt sind, Flagge für Donald Trump zu zeigen.

Während die Polizei von noch nicht abgeschlossenen Untersuchungen sprach, warnte der Bürgermeister Portlands vor Racheakten. Es gebe Leute, die ankündigten, in die Stadt zu kommen, um Vergeltung zu üben, sagte Ted Wheeler. "Ich frage, Vergeltung wofür?" "Was ihr an Fakten in den sozialen Medien lest, stimmt wahrscheinlich nicht, denn noch kennen wir nicht alle Fakten." Trump, fügte der Mayor hinzu, habe Provokateure ermuntert, "in unsere Stadt zu kommen und Chaos zu stiften".

Der Bürgermeister, ein Narr

Der Präsident, der den Demokraten Wheeler seit Wochen zu seinen Lieblingsfeinden zählt, weil der sich gegen das aggressive Auftreten bewaffneter Bundesbeamter in Portland gewehrt hatte, scheint indes nicht an verbale Abrüstung zu denken. Der Bürgermeister sei ein Narr, twitterte er. Man bräuchte nur die Nationalgarde mobilisieren, die hätte das Problem in weniger als einer Stunde im Griff. Um seine Rhetorik zu untermauern, fliegt Trump am Dienstag zwar nicht nach Portland, wohl aber nach Kenosha. Dorthin, wo ein Polizist dem 29-jährigen Afroamerikaner Jacob Blake siebenmal in den Rücken schoss, was eine Welle heftiger Unruhen auslöste.

Ebenfalls auf ein Glätten der Wogen bedacht, bat Tony Evers, der demokratische Gouverneur Wisconsins, den Präsidenten, auf seine Reise zu verzichten: "Ich bin besorgt, dass Ihre Anwesenheit unsere Heilung nur behindert." Die Stadt, fürchtet Evers, könnte zum Schauplatz eines Showdowns zwischen gewaltbereiten Anhängern und Gegnern Trumps werden.

Biden gibt Trump Mitschuld an Gewalt

Trump fliegt nach Kenosha, um seinen Herausforderer Joe Biden als eine Marionette an den Fäden der "radikalen Linken" zu porträtieren. Mit ihm im Oval Office, suggeriert er seit Tagen, seien Recht und Ordnung garantiert, während das Land unter Biden in der Anarchie zu versinken drohe. Tatsächlich lassen Umfragen zumindest für den Moment den Schluss zu, dass er mit seiner Taktik Erfolg haben könnte. Zwar sind die meisten Amerikaner der Meinung, dass sich ihr Land endlich seines Rassismusproblems annehmen muss. Zwar ist die Zustimmung zu Black Lives Matter mit 49 Prozent noch relativ hoch. Doch das Bild ändert sich, sobald nach Gewalt gefragt wird. Dem Institut YouGov zufolge lehnen 73 Prozent Gewalt als Mittel zum Erreichen politischer Ziele strikt ab.

Das ist die Stimmungslage, auf der Trump seine Law-and-Order-Kampagne gegründet hat. Seine Beraterin Kellyanne Conway hat deutlich gemacht, dass es ihm ins Konzept passt, wenn es eskaliert. "Je mehr Chaos und Anarchie, Vandalismus und Gewalt herrschen, umso besser ist es für die sehr klare Wahl, wer für die öffentliche Sicherheit und Recht und Ordnung besser geeignet ist", sagte Conway.

Das sieht auch Biden so. Er sagte am Montag bei einer Rede in der Industriestadt Pittsburgh: "Je mehr Chaos und Gewalt, desto besser ist es für Trumps Wiederwahl." Er warf Trump Unfähigkeit und Scheitern vor – in der Corona-Krise wie in der Reaktion auf die anhaltenden gewaltsamen Proteste in US-Städten: "Glaubt irgendjemand, dass es in den USA weniger Gewalt geben wird, wenn Donald Trump wiedergewählt wird?" fragte Biden. "Er mag glauben, dass ihn die Worte Recht und Ordnung stark erscheinen lassen. Aber sein Unvermögen, seine eigenen Anhänger aufzurufen, nicht weiter wie eine bewaffnete Miliz in diesem Land aufzutreten, zeigt, wie schwach er ist." (Frank Herrmann aus Washington, 31.8.2020)