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In seinem Debütroman stellt uns US-Autor Shaun Hamill eine skurril anmutende Subkultur seines Landes vor, aus der längst ein blühender Wirtschaftszweig geworden ist: Spukhäuser. Damit sind keine Häuser gemeint, in denen es "wirklich" spukt (auf Englisch haunted houses), sondern solche, in denen das Übernatürliche zum Vergnügen der Besucher simuliert wird (haunted attractions). Im 20. Jahrhundert in Mode gekommen, gibt es davon mittlerweile Tausende, und die Bandbreite ist enorm. Es gibt Häuser, die nur um Halloween herum geöffnet haben, ebenso wie solche, die rund ums Jahr betrieben werden. Hochkommerzielle Einrichtungen ebenso wie Non-Profit-Projekte zum Spendensammeln. Themenpark-artige Riesenanlagen wie auch kleine Familienbetriebe (home haunts).

Einer von Letzteren steht im Mittelpunkt von "Das Haus der finsteren Träume" und ist untrennbar mit der Geschichte der Familie Turner verbunden. Diese wird uns chronologisch von den 1960er bis in die 2010er Jahre erzählt, und es ist eine Geschichte von Schicksalsschlägen, unterdrückten Wünschen und dunklen Geheimnissen. Eine ganz normale Familie also, möchte man meinen – doch die Turners haben Kontakte zum Übernatürlichen, die weit über das hinausgehen, was sie dem Publikum in ihrem kleinen Spukhaus vorgaukeln.

Das Lebensprojekt der Turners

So richtig los geht es in den 80ern, als Vater Harry Turner wie aus heiterem Himmel beschließt, im Garten ein Spukhaus für die Nachbarschaft einzurichten. Dass er ein glühender Horror-Fan ist, wissen wir bereits aus dem vorangegangenen Abschnitt, in dem uns geschildert wurde, wie der aus der Unterschicht stammende Harry Ende der 60er die gutbürgerliche Margaret Byrne kennen- und lieben lernte. Eine klassische Amour fou, scheint es. Interessanterweise wird Margaret später aber weniger von Leidenschaft sprechen als von einem Gefühl der "Unausweichlichkeit", das die beiden gegen alle Widerstände zusammengebracht habe. Selbst die guten ersten Jahre bergen schon einen Keim der Unzufriedenheit in sich.

Obwohl Harry zunehmend manisch agiert und seine Mitmenschen immer mehr an seine schizophren gewordene Mutter erinnert, wird das Spukhaus zum Familienprojekt. Margaret, die Töchter Eunice und Sydney und später auch der Sohn Noah werden – zu unterschiedlichen Graden der Bereitwilligkeit – mit hineingezogen. (Noah fungiert übrigens als annähernd allwissender Erzähler des Romans.) Das immer weiter ausgebaute Spukhaus wird schließlich zur Einkommensquelle der Familie, wenn auch keiner konstanten. Es floriert, macht pleite, wird mit neuem Konzept wiederbelebt – es erlebt seine Aufs und Abs, ganz so wie die Turners selbst.

Doch da ist noch die andere Seite: Die Turners – zumindest einige von ihnen – sehen Monster. Bei Harry könnte man es noch als Halluzinationen abtun, als Symptom seiner fortschreitenden Krankheit. Doch er ist nicht der einzige. Als Margaret sich damals in den 60ern beinahe für einen standesgemäßeren Rivalen Harrys entschieden hätte, erlebte sie eine Lovecraftsche Vision wie eine Warnung davor, dass sie gerade den falschen Weg einschlägt. Und beim kleinen Noah klopft, wie bei so vielen anderen Kindern, Nacht für Nacht ein Monster ans Fenster. Bis er es schließlich öffnet und sich mit seinem nächtlichen Besucher anfreundet.

(Innere?) Dämonen

Es bleibt dem Leser überlassen, wie stark er das Übernatürliche in Hamills Roman als metaphorisch betrachten will. Natürlich spielt das psychologische Element eine enorm wichtige Rolle, und unter allen Problemen, die die Familienmitglieder mit sich herumschleppen, ist ihr größtes die Kommunikation. Ob Sexualität, Krankheit, beruflicher Frust oder Unzufriedenheit mit der Rolle innerhalb der Familie: Die Turners neigen dazu, das, was ausgesprochen werden sollte, voreinander zu verbergen. Und so schwärt es im Untergrund und sucht sich andere Wege, um nach oben zu kommen.

Das vielleicht verquerste Beispiel für die Turnersche Hilflosigkeit in Sachen Kommunikation ist Eunice, die ihr Leben in einer tagebuchartigen Kette von Abschiedsbriefen beschreibt. Als sie eines Tages bemerkt, dass Noah diese heimlich liest, stellt sie ihn nicht etwa zur Rede, sondern schiebt ihm künftig alle weiteren Briefe unter der Tür durch. Die Turners würden sich gerne mitteilen – sie wissen einfach nur nicht, wie sie es tun sollen. Nach außen bleibt der Schein stets gewahrt: Hier ist alles in Ordnung, schien das Haus zähneknirschend zu sagen. Wir sind normal und glücklich, verdammt noch mal.

Die Monster selbst, wie real sie auch sein mögen, folgen übrigens keiner gängigen Horror-Mythologie, sondern sind Hamills ureigene Schöpfung. Ebenso wie jene seltsame Stadt, aus der sie in unsere Welt kommen und über die Harry schon früh im Roman orakelt hat, dass "sie" die Witterung der Familie aufgenommen habe. Es ist ein Nicht-Ort, an dem verschiedene Zeitebenen ineinanderfließen, ein Zerrbild der Realität, in dem sich all die unterdrückten Gefühle der Familienmitglieder in albtraumhaften Bildern verdichten.

Empfehlung!

"Das Haus der finsteren Träume" ist ein ungewöhnlicher Roman, und er lässt sich sowohl Horror-Fans als auch denen, die mit dem Genre nicht viel anfangen können, empfehlen. Die einen werden es als Slowburn-Grusel jenseits abgenutzter Horror-Topoi erleben, die anderen als psychologische Studie, in der Licht wie auch Dunkel physische Gestalt annehmen. Aber alle werden wissen wollen, wie es mit den Mitgliedern dieser Familie weitergeht. Ausdrücklich "weiter-" und nicht "ausgeht". Denn Happy Ends gibt es in der Wirklichkeit nicht, wie es an einer Stelle sinngemäß heißt, nur ein Auf und Ab und Weiter. Jedes Happy End wäre nur ein willkürlich gesetzter Schlusspunkt im Moment des Triumphs.