Unter den Angreifern auf linke und kurdische Kundgebungen waren auch Graue Wölfe.

Foto: Presseservice Wien

In einer eilig einberufenen Pressekonferenz informierten am Dienstag Innenminister Karl Nehammer, Integrationsministerin Susanne Raab (beide ÖVP) und der Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Franz Ruf, über einen mutmaßlichen Spionagefall. Konkret geht es um eine Person, die im Auftrag türkischer Geheimdienste in Österreich spioniert haben soll, gegen sie soll Anklage erhoben werden.

Die Person – mehrere Medien schreiben von einer Frau – sei laut Nehammer voll geständig. Sie sei vom türkischen Geheimdienst angewiesen worden, türkische Mitbürgerinnen und -bürger auszuspionieren und der Türkei darüber zu berichten.

Nach Einreise in die Türkei als Spitzel rekrutiert

Dahinter dürfte System stecken. Laut Nehammer wurden im Zeitraum zwischen 2018 und 2020 35 Personen bei ihrer Einreise aus Österreich in die Türkei verhaftet, dann vom türkischen Geheimdienst kontaktiert und als Informanten gewonnen. Nach ihrer Freilassung sollten diese Personen ab ihrer Rückreise über Regimekritiker berichten.

So soll auch die mutmaßliche Spionin, die nun gestanden haben soll, ursprünglich in der Türkei inhaftiert gewesen sein. Um wieder freizukommen, soll sie zugestimmt haben, im Dienste Ankaras bei Türken und Türkinnen in Österreich beziehungsweise türkischstämmigen Einwanderern zu spitzeln. Weitere Details, etwa wann sie festgenommen wurde und welche Staatsanwaltschaft konkret ermittelt, sind bisher nicht bekannt.

Politikwissenschafter spricht von jahrelangem Vorgehen

In dem Zusammenhang sprach Nehammer von einem weiteren Fall: Eine 46-jährige Person mit österreichischer Staatsbürgerschaft soll nach der Einreise in die Türkei mit Bildern konfrontiert worden sein, die sie bei einer antitürkischen Demonstration in Österreich zeigen.

Für den Politikwissenschafter und Welser Grünen-Spitzenkandidaten Thomas Rammerstorfer kommt, so sagt er im Gespräch mit dem STANDARD, "überraschend, dass das für das Innenministerium überraschend kommt". Rammerstorfer geht davon aus, "dass wir ein paar Dutzend Informanten aus diesen Szenen haben", meist seien diese in AKP- oder MHP-nahen Vereinen beheimatet. Dass diese bei Veranstaltungen der Opposition auftauchen und filmen, sei seit Jahren bekannt.

Seehofer und Europol informiert

Laut Nehammer, so sagte er am Dienstag, versuche die Türkei, die "Ruhe, Sicherheit und Ordnung" in Österreich zu gefährden, das würde man nicht tolerieren. Der Innenminister habe seinen deutschen Amtskollegen Horst Seehofer und Europol eingeschaltet. Auch Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) sei informiert worden, um diplomatische Schritte einzuleiten.

Auf Anfrage des STANDARD, ob es im Zusammenhang mit der Causa zu Gesprächen mit dem türkischen Botschafter in Wien kam oder ob es bereits Ausweisungen gab, heißt es aus dem Außenministerium zunächst, man wolle erst einmal die Schritte der Justiz abwarten. Aus der Botschaft heißt es, man habe erst am Dienstag von den Vorwürfen erfahren. Ab Dienstagabend dann sagte eine Sprecherin des Außenministeriums, man habe die türkische Botschaft um ein Gespräch gebeten.

Spionage auch bei Favoriten-Demos

Auch wenn, so wurde es zumindest im Rahmen der Pressekonferenz kommuniziert, die beiden besagten Personen nicht direkt in die jüngsten Krawalle in Favoriten involviert gewesen seien, stehen die Fälle im Zusammenhang damit. Auch dort habe es, so Ruf, "klare Indikatoren" für eine geheimdienstliche Vorgangsweise gegeben, etwa eine professionelle Dokumentation der Ereignisse – "und zwar nicht durch uns", sagte Nehammer. Konkreter wurden die beiden allerdings nicht.

Rund um die Vorfälle im Zehnten sei es laut Ruf zu 207 Identitätsfeststellungen gekommen, 37 der Personen seien amtsbekannt gewesen, und zu 42 Anzeigen wegen Raufhandels. Auch jene Personen, die einen kurdischen Journalisten verletzt haben, seien mittlerweile ausgeforscht. Sieben verwaltungsrechtliche Verfahren gebe es wegen des sogenannten Wolfsgrußes, sie laufen gegen drei Österreicher, drei Türken und einen Afghanen. Insgesamt seien Personen aus 32 Nationen an den Auseinandersetzungen beteiligt gewesen.

Im Zuge der Ermittlungen rund um die Causa Favoriten – dafür wurde eine Sonderkommission eingerichtet – sei man aber auf die "Repressalien" gestoßen, die Personen bei der Türkei-Einreise erleben würden, sagte Ruf. Das betreffe sowohl türkische Staatsbürger als auch österreichische Staatsbürger mit türkischem Migrationshintergrund, die in Österreich leben.

200 bis 500 Vereine

Laut Raab habe man Beweise, "dass die Türkei Einfluss in Österreich nehmen will". Sie verwies darauf, dass es in Österreich 500 türkische und kurdische Vereine gebe; das habe man im Zuge der Errichtung der Dokumentationsstelle Politischer Islam herausgefunden. Raab warnte einmal mehr vor Parallelgesellschaften. Man habe daher bereits mit 15 Vereinen Gespräche geführt und "ganz klar Erwartungen und rote Linien" des Rechtsstaats kommuniziert.

Politikexperte Rammerstorfer erscheint die Zahl von 500 Vereinen hoch: Er gehe von etwa 200 Vereinen aus. Viele dieser Vereine seien unpolitisch, "das sind etwa auch religiöse Gruppen aus der alevitischen Community, die säkulare Ansichten haben, oder Freizeitklubs". Doch: Einige Vereine seien auch im rechten und rechtsextremen Milieu angesiedelt, sagt Rammerstorfer. (Gabriele Scherndl, 1.9.2020)