Die Mahnwache in Graz vor über einer Woche.

Foto: Müllner/Doku Service Stmk

Es war ein Zeichen der Solidarität und des Aufstehens gegen Antisemitismus, das über Österreichs Grenzen hinaus strahlte. Rund 30 Grazer Bürgerinnen und Bürger hatten sich am 22. August in der Nacht nach der Attacke auf den Präsidenten der Jüdischen Gemeinde, Elie Rosen, vor die Synagoge gestellt. Die spontane Mahnwache hatte für den Bezirksvorsteher des Grazer Bezirks Gries, Tristan Ammerer (Grüne), einen weiteren Hintergrund: Die Synagoge war – wie berichtet – in jener Woche schon zweimal attackiert worden, ohne dass die Polizei die Bewachung des Geländes verstärkt hätte. Es gab lediglich Bilder aus der Überwachungskamera, die den am Sonntag danach von der Polizei gefassten syrischen Flüchtling bei seinen Vandalenakten zeigten.

Nachspiel

Für Ammerer ein unerwartetes Nachspiel: eine E-Mail der Polizei mit einer Anzeige, und zwar gleich in mehreren Punkten. Da Ammerer via soziale Medien auf die Mahnwache aufmerksam gemacht hatte, wurde er vom Wachzimmer Karlauerstraße, der Synagoge am nächsten, einerseits nach Paragraf 2 Absatz 1 des Versammlungsgesetzes angezeigt, weiters sei "der Gehsteig zu verkehrsfremden Zwecken verwendet und die Mahnwache nicht bei der zuständigen Behörde angezeigt worden", weshalb auch noch eine Anzeige nach der Straßenverkehrsverordnung hinzukam. Und: "Zivile Überwachungskräfte" hätten beobachtet, dass der Bezirksvorsteher nicht auf die Covid-19-Schutzmaßnahmen wie Mundschutz und Abstand geachtet hätte.

Ammerer verwehrt sich im Gespräch mit dem STANDARD am Dienstag gegen diese Vorwürfe, sei doch eine spontane Kundgebung durch das österreichische Versammlungsrecht gedeckt, und "es stimmt auch nicht, dass die Abstände nicht eingehalten wurden". Tatsächlich zeigen die Fotos der Mahnwache, die durch die internationale Presse gingen, Menschen im Regen, meist mit aufgespannten Schirmen, die allein schon einen Abstand bedingen.

Blimlinger: "Wirklich unfassbar"

Schützenhilfe bekam Ammerer am Dienstag per Aussendung von der grünen Nationalratsabgeordneten Eva Blimlinger: ""Es ist wirklich unfassbar, dass zivilgesellschaftliches Engagement dort, wo es an staatlicher Unterstützung fehlt, dann noch eine Anzeige zur Folge hat", so Blimlinger. Sie forderte zudem, die Anzeige sofort zurückzuziehen. "Wer in Österreich jüdische Einrichtungen schützt, wird nicht etwa belobigt und bedankt, nein, er wird polizeilich verfolgt", kritisiert die grüne Kultursprecherin.

Im Büro von Innenminister Karl Nehammer (ÖVP), der erst vor einer Woche bei einer Pressekonferenz nach der Verhaftung des Verdächtigen eindrucksvoll betonte, dass man gegen Antisemitismus aufstehen müsse, hatte man auf Nachfrage des STANDARD noch keine Kenntnis von der Anzeige, werde sich aber in der Steiermark informieren, so eine Sprecherin des Ministeriums.

Gesprächsangebot

Tristan Ammerer erzählt dem STANDARD wenig später: "Inzwischen hat sich das Landespolizeikommando bei mir gemeldet mit einem Gesprächsangebot, das ich sehr gerne annehme – gemeinsam mit unserer Stadträtin Judith Schwentner."

Das Wachzimmer, das die Anzeige ausgestellt hat, ist in demselben Gebäude wie die Verkehrsinspektion, aus der sich Beamte wegen rechtsextremer Umtriebe im Juli vor Gericht verantworten mussten – DER STANDARD berichtete.

Retourkutsche oder Pannenserie

Die Anzeige fühle sich an "wie eine Retourkutsche", weil er die Exekutive für den mangelnden Schutz der Synagoge öffentlich kritisiert hat, so Ammerer, der die Polizei auch persönlich und vergeblich gebeten hatte, den Schutz zu verstärken. "Aber das Landespolizeikommando hat betont, dass man dort nichts von der Anzeige wusste und die Anzeige nicht von der Inspektion mit der Rechtsextremismus-Affäre stammt", so Ammerer weiter. "Wenn ich es wohlwollend betrachte, kann ich aber zumindest davon ausgehen, dass es da wohl in einem Stützpunkt eine Reihe von Pannen zur selben Thematik gibt."

Landespolizeidirektion reagiert

Die Landespolizeidirektion Steiermark rechtfertigte die Anzeige am späteren Dienstagnachmittag noch in einer Aussendung. Weil die Versammlung nicht angemeldet war, sei die Polizei gesetzlich dazu verpflichtet gewesen, Anzeige zu erstatten, heißt es da. "Andernfalls hätte gegen die Beamten der Vorwurf des Amtsmissbrauches erhoben werden können. Die Anzeige wird in weiterer Folge von der Verwaltungsbehörde geprüft."

Allerdings wird auch eingeräumt: "Aufgrund der Sensibilität kann nach einer derartigen Anzeige auch mit einer Abmahnung das Auslangen gefunden werden. Diesbezüglich bleibt aber die Entscheidung der zuständigen Verwaltungsbehörde abzuwarten." (Colette M. Schmidt, 1.9.2020)