Es waren dramatische Tage, die bereits in die Geschichtsbücher eingegangen sind. Am 7. Jänner 2015 platzten zwei schwarz gekleidete Attentäter – heute als die "Kouachi-Brüder" bekannt – in die wöchentliche Redaktionssitzung des Pariser Satiremagazins Charlie Hebdo. Mit Kalaschnikows erschossen sie zwölf Anwesende, darunter mehrere landesweit bekannte Zeichner, die immer wieder Mohammed-Karikaturen gebracht hatten.

Vor der ehemaligen Redaktion erinnert ein Street-Art-Kunstwerk an die getöteten Mitarbeiter von "Charlie Hebdo".
Foto: AFP / Thomas Coex

Im allgemeinen Tumult ging fast unter, dass ein dritter Terrorist, Amédy Coulibaly, einen Tag später im Vorort Montrouge einen Polizisten ermordete. Noch einmal einen Tag später nahm er im Supermarkt Hyper Cacher Geiseln und erschoss vier jüdische Kunden, bevor er selbst von Elitepolizisten getötet wurde. Fast zur gleichen Stunde erschoss die Polizei Saïd und Chérif Kouachi in einem Firmengebäude im Osten von Paris.

Anschlag auf die Freiheit

Frankreich stand unter Schock. Am 11. Jänner folgten auf der Straße fast vier Millionen Menschen dem Demo-Aufruf "Je suis Charlie" (Ich bin Charlie). Denn mit dem politisch unkorrekten Satiremagazin wurde das ganze Freiheits- und Laizismus-Konzept der Französischen Republik getroffen. Auch wirkte der Anschlag wie ein Auslöser für weitere Massenmorde, darunter im Pariser Konzertlokal Bataclan oder auf der Promenade des Anglais in Nizza.

Jetzt wird das Trauma vom Jänner 2015 erstmals juristisch aufgearbeitet. Die Justiz hat lange ermittelt und bringt 14 Männer in dem schwer gesicherten Gebäude des Schwurgerichts auf die mit Plexiglas geschützte Anklagebank. Es sind Hintermänner. Die drei Hauptattentäter sind tot.

Coulibalys Braut Hayet Boumedienne wurde 2019 in Syrien gesichtet, weitere zwei Mithelfer sollen dort umgekommen sein. Von den Angeklagten muss sich einer wegen direkter Komplizenschaft verantworten, die übrigen sollen logistische Hilfe geleistet haben.

Debatte um Tatbestände

Die bis November geplanten, für die Nachwelt gefilmten und in vier Säle übertragenen Verhandlungen dürften sich um eine Frage drehen: Setzt der Tatbestand der "Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung" voraus, dass die Angeklagten über die Morde im Bilde waren, wenn sie Autos oder Waffen organisierten? Denn natürlich bestreiten sämtliche Angeklagten – wenn sie überhaupt ihr Schweigen brechen werden –, von den Terrorplänen auch nur gewusst zu haben.

Diese Rechtsfrage wird das Schwurgericht, dutzende von Anwälten und 200 Zivilkläger beschäftigen – weniger die breite Öffentlichkeit, die sich an die Terrorgefahr mittlerweile fast schon gewöhnt hat. Die 2015 ausgelöste Terrorwelle ist heute verebbt. Das liegt sicherlich auch daran, weil im Zuge der Charlie Hebdo- und folgenden Anschläge tausende neuer Ermittler, darunter immer mehr Informatiker, angeheuert wurden. Sie verfolgen gut 10.000 französische Salafisten und andere Radikalisierte.

Vereitelte Anschläge

Zwischen 2020 und 2022 kommen zudem 150 wegen Terrorumtriebe verurteilte Häftlinge auf freien Fuß. Sie stellen laut Jean-Charles Brisard vom Zentrum für Terroranalysen eine akute Bedrohung dar. Anti-Terror-Staatsanwalt Jean-François Ricard sagte am Montag, dass in Frankreich in den vergangenen Monaten "mindestens ein halbes Dutzend Anschläge vereitelt" worden sei. Demgegenüber ortet Islam-Experte Gilles Kepel die Gefahr in französischen Übersee- oder Interessengebieten wie dem Sahel.

Solche besorgniserregenden Angaben bewirken derzeit kaum mehr als ein Schulterzucken. Frankreich ist zu sehr mit Covid-19 und Wirtschaftskrise beschäftigt. Als ein Alleintäter im April in Romans-sur-Isère zwei Passanten erstach und die Staatsanwaltschaft von einem "religiösen" Motiv ausging, sorgte das kaum für Schlagzeilen.

Neuer Abdruck alter Karikaturen

Dasselbe gilt auch für Charlie Hebdo selbst. Das Satiremagazin provoziert tapfer weiter. Doch die Auflage sinkt wieder auf 50.000, nachdem sie Anfang 2015 von gerade noch 20.000 auf zunächst 180.000 hochgeschnellt war. Eine deutsche Ausgabe wurde wieder eingestellt. "Der Geist von Charlie hat sich verflüchtigt", urteilt die ihm früher gewogene Zeitschrift Marianne. Das konservative Pendant Le point meint, dass der öffentliche Diskurs "unfreier" geworden sei. Charlie Hebdo zeichne sich durch "fünf Jahre Kapitulation" aus, da es schon lang keine Mohammed-Karikaturen mehr abgedruckt habe.

Diese Beurteilungen klingen hart für eine Redaktion, die fast ausgelöscht worden war. Die nach wie vor frechen, bewusst geschmacklosen Zeichnungen verbergen kaum, dass sie ihr Trauma keineswegs überwunden hat. Chefredakteur Riss (Pseudonym von Laurent Sourisseau, Anm.), der den Anschlag mit einem Schuss in die Schulter überlebt hat, übt sich wöchentlich in kompromisslosen Pamphleten gegen alles Religiöse, vom Papst bis zum Jihad. Zugleich steht er dazu, dass man Mohammed-Zeichnungen nur noch "wenn nötig" bringe. Zum Start des Prozesses gibt es wieder solche Zeichnungen – allerdings nur alte aus früheren Ausgaben. (Stefan Brändle aus Paris, 2.9.2020)