Das darf nicht wieder geschehen, ertönt es aus der Politik auch fünf Jahre nach Beginn der großen Flüchtlingskrise, die 2015 und 2016 rund eine Million Menschen nach Europa brachte. Angesichts der Abschottungspolitik der EU ist eine Wiederholung dieser Massenmigration unwahrscheinlich geworden. Aber an einem der entscheidenden Gründe für die Krise von damals hat sich seither nichts geändert: eine Rechtslage und eine Asylpraxis, die Migranten nur eine einzige Chance bietet, nach Europa zu gelangen und dortzubleiben – indem sie illegal und meist mithilfe von Schleppern einreisen.

Dieses absurde System ist einerseits unmenschlich und verhindert andererseits – damals wie heute – eine kontrollierte Asyl- und Einwanderungspolitik, die jenen Menschen Schutz bietet, die ihn am meisten benötigen.

Zumindest auf dem Papier sind alle EU-Staaten der Genfer Flüchtlingskonvention und dem EU-Asylrecht verpflichtet.
Foto: Christian Fischer

Zumindest auf dem Papier sind alle EU-Staaten der Genfer Flüchtlingskonvention und dem EU-Asylrecht verpflichtet. Wer immer das Staatsgebiet erreicht, kann Asyl beantragen und hat Anspruch auf ein Asylverfahren, das sich oft Jahre in die Länge ziehen kann. Selbst wenn die Werber keine Chance auf Anerkennung haben – das erste Ziel, nämlich den Aufenthalt, haben sie bereits erreicht. Dieses Leo-Prinzip schafft gewaltige Anreize, die Einreise mit allen Mitteln zu versuchen – egal wie lang, wie teuer oder wie lebensgefährlich.

Denn eine Alternative gibt es nicht, weder für wirklich Verfolgte noch für jene, die nur ein besseres Leben suchen oder von der Familie entsandt werden, um Geld nach Hause zu schicken. Das Botschaftsasyl im Ausland wurde nach und nach abgeschafft, und für das von der Uno organisierte Resettlement gibt es zu wenige Abnehmer.

Humanitäre Pflichten

Es müsste dabei genau umgekehrt sein, wenn Staaten ihre humanitären Pflichten erfüllen und dennoch die Kontrolle über ihre Grenzen behalten wollen: Illegale Übertritte müssten zwecklos sein und dafür legale Kanäle für Flucht und Einwanderung offenstehen – mit echten Chancen auf Aufnahme.

Als vielleicht einziges Land der Welt hat Australien dies umgesetzt: Wer es illegal im Boot versucht, landet in einem Lager im Ausland; dafür nimmt Australien geregelt mehr Flüchtlinge als andere westliche Staaten auf. Doch die Lager sind unmenschlich, und Fans dieser Politik wie Kanzler Sebastian Kurz preisen nur den ersten Teil, die Abschottung, und vergessen gerne den zweiten.

Die Schwäche des EU-Asylrechts wurde im Frühjahr in Griechenland offenbar, als die Türkei tausende Flüchtlinge bewusst über die Grenze trieb. Die griechische Regierung ließ sie einfach nicht ins Land oder schickte sie zurück – aus politischer Sicht verständlich, aber ein klarer Rechtsbruch. Auch das ist keine akzeptable Lösung.

Notwendig wäre eine breite Reform, die auf einem großen politischen Kompromiss basiert: Die einen müssen akzeptieren, dass illegale Einwanderer nur in Ausnahmefällen ein Anrecht auf Asylverfahren erhalten. Dafür muss sich das EU-Recht ändern. Die anderen müssen bereit sein, Menschen mit echten Fluchtgründen notfalls auch in großer Zahl aufzunehmen. Die erste Asylprüfung hat im Ausland stattzufinden, was in Zeiten des Internets nicht schwer wäre.

Konzepte dieser Art gab es schon viele, doch der politische Wille hat stets gefehlt – auf linker wie auf rechter Seite. Zu befürchten ist, dass sich dies bis zur nächsten Flüchtlingskrise nicht ändert. (Eric Frey, 1.9.2020)