Wohin, wenn das Lokal zugesperrt hat?

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Im Stammcafé war es oft so, dass man sich dort am Nachmittag hinsetzte und dann erst nachts merkte, dass es schon wieder dunkel geworden war. Das hat auch damit zu tun, dass der Mensch nur dazu die Kraft aufbringt, die erste Hälfte des Tages würdig hinter sich zu bringen. Danach ist Erholung angesagt.

Der deutsche Autor Wilhelm Genazino plädiert daher für das Konzept des Halbtagslebens. Die zweite Hälfte des Tages solle man lieber zu Hause in aller Ruhe in seinem Resignationssessel verbringen. Oder eben im Stammcafé.

Ernüchternde Erkenntnis

Das Café hat nun vor einer Woche seine Pforten geschlossen. Die Besitzerin geht in Pension. Kein Nachfolger. Es ist diesbezüglich eine Lücke entstanden, die täglich größer wird. Das bedeutet einen entscheidenden Einschnitt in bisherige Gewohnheiten.

Zwar wurde am letzten Abend im Café kurz die Idee aufgebracht, doch nun selbst zum Wirt im Sinne eines fortan kommunitaristisch geführten Betriebs zu werden und den Laden also zu übernehmen. Die von der Besitzerin anvisierte Ablöse übersteigt allerdings nicht nur unser aller Möglichkeiten.

Wirklich ernüchternd erwies sich eine Erkenntnis. Wenn man vom Gast zum Wirt wird, passiert eines: Man kann wegen des zu erwartenden Arbeitsaufwands bezüglich Betriebsführung, Servilität gegenüber dem Publikum und unerfreulicher Aufgaben wie Zapfhahnbedienung und meinetwegen auch des Kaffeesiedens nicht mehr selbst gemütlich absandeln.

Man sagt Adieu

Zumal man ja auch immer schon ahnte, dass das oft unwirsche Verhalten der Wirtin den Gästen gegenüber nicht nur der Arbeit geschuldet war. Hier verbarg sich auch eine gewisse Verbitterung darüber, nach der Laufkundschaft in der Früh auch noch in der zweiten Hälfte des Tages den jeweiligen Wünschen der abgelebten Stammgäste ein offenes Ohr leihen zu müssen – ohne dabei selbst in Wehklagen verfallen zu können!

Wir haben also zerknirscht unsere Rechnungen bezahlt, Adieu gesagt und sind in die Resignationssessel geflüchtet. Wenn jemand ein neues Stammlokal weiß, sehr gern! (Christian Schachinger, 2.9.2020)