Kein Schulanfang wie eh und je – auch nicht in Russland.

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Kostja freut sich auf den Schulbeginn: "Ich habe schon Sehnsucht nach meinen Mitschülern gehabt", sagt der Neunjährige. Immerhin habe er die meisten von ihnen ein halbes Jahr nicht gesehen. Im März hat die Moskauer Stadtverwaltung wegen des sich rapide ausbreitenden Virus Sars-CoV-2 die Schulen geschlossen und die Kinder in den Heimunterricht geschickt. In einem für Lehrer und Eltern gleichermaßen nervenaufreibenden Crashkurs stiegen die Schulen damals eilig auf den Online-Unterricht um.

Präsident Wladimir Putin zog ein positives Fazit dieser Zeit. Die gelungene Umstellung habe gezeigt, dass Russland eben doch mehr sei als nur eine als Land getarnte "Tankstelle", griff der Kreml-Chef ein Zitat des vor zwei Jahren verstorbenen Ex-US-Präsidentschaftskandidaten John McCain auf. Russland habe sein technologisches Potenzial demonstriert, und der Fernunterricht habe in mancher Hinsicht seine Vorteile gegenüber den traditionellen Lehrmethoden unter Beweis gestellt.

Trotzdem sei die Rückkehr zum regulären Unterricht gerade für die Schüler besonders wichtig, befand Putin. Der direkte Kontakt mit Lehrern und Mitschülern sei unentbehrlich. "Die besten Ergebnisse erzielen die Menschen, die im Team arbeiten können", so Putin.

Alle Lehrer getestet

Dennoch findet der heurige Schulanfang in Russland unter besonderen Bedingungen statt: Alle Lehrer mussten sich im Vorfeld auf Covid-19 testen lassen. Immerhin drei Prozent der Pädagogen resultierten positiv und mussten vorläufig zu Hause bleiben.

Auch Eltern dürfen ab sofort nicht mehr ins Schulgebäude. "Außenstehenden ist bei uns der Zutritt verboten", bedauert Julja Morosowa, Lehrerin an der Moskauer Schule 1247. Während die Drittklässler selbst unbeschwert und unmaskiert miteinander schwatzen, steht sie mit Gesichtsvisier und Einweghandschuhen auf dem Schulhof und lenkt ihre Klasse grüppchenweise über einen Seiteneingang ins Haus.

Dort wird bei den Schülern Fieber gemessen. Lediglich ein Verdacht auf Grippe oder Covid-19 reiche aus, um die ganze Klasse für zwei Wochen in Quarantäne zu schicken, hatte die Direktorin schon im Vorfeld auf einem Online-Elternabend gewarnt. Um eine Verbreitung der Pandemie im Schulbereich zu vermeiden, haben die einzelnen Klassenstufen sogar individuell Unterrichtsbeginn und Pause.

Hoffen auf den Impfstoff

Die Regelungen gelten zumindest, solange es in Russland keine Massenimpfungen gegen Covid-19 gibt. Immerhin hat der Kreml öffentlichkeitswirksam schon vor Wochen die Registrierung eines Impfstoffs verkündet. Noch ist das Serum allerdings in der Testphase. Unter dem Namen "Sputnik V" soll es Assoziationen an das erfolgreiche Weltraumprogramm der UdSSR wecken, das damals ebenfalls die gesamte Welt verblüffte. Die ersten größeren Lieferungen des Impfstoffs seien bereits für September geplant, teilte Gesundheitsminister Michail Muraschko mit. Im November/Dezember werde die Produktion volle Kapazität erreichen, fügte er hinzu.

"In erster Linie wird der Impfstoff natürlich an medizinisches Personal und Pädagogen ausgegeben", sagte Muraschko, betonte aber zugleich, dass eine solche Impfung "absolut freiwillig" sei. In den Regionen wächst derweil schon der Druck auf die Lehrer, sich impfen zu lassen. Die Bildungsministerin des Gebiets Perm, Raissa Kassina, beispielsweise rief alle Lehrer ihrer Region dazu auf, "weil davon die Gesundheit unserer Kinder abhängt".

Skepsis in der Bevölkerung

Dabei ist die Skepsis der Russen gegenüber dem neuen Impfstoff noch relativ groß: Einer Umfrage des Lewada-Zentrums zufolge empfinden nur 18 Prozent Stolz und neun Prozent Freude über den einheimischen Impfstoff. Hingegen sind 54 Prozent der Bürger nicht bereit, sich gegen die Seuche impfen zu lassen.

Angesichts der Tatsache, dass just am 1. September die Zahl der Infizierten in Russland offiziell eine Million Menschen überstiegen hat, ist die Ablehnung beachtlich hoch. (André Ballin aus Moskau, 1.9.2020)