Es ist schon ein alter Spruch, aber nachdem Sebastian Kurz zum x-ten Mal vom "Licht am Ende des Tunnels" gesprochen hat, drängt sich die Frage auf: "Und was ist, wenn es der Scheinwerfer des entgegenrasenden Expresszuges ist?"

Interviews mit Kanzler Kurz zu konsumieren ist einigermaßen anstrengend. Er serviert eine freundliche Feelgood-Show, "long on style, short on substance", wie der Engländer sagt. Aus diesem Geplätscher substanzielle Informationen herauszuholen ist wirklich schwierig, auch für professionelle Beobachter. Manchmal taucht der Verdacht auf, er wisse gar nicht, was er jetzt machen soll. Aber immerhin ist er ja Kanzler.

Bundeskanzler Sebastian Kurz zu Gast beim ORF "Sommergespräch".
Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Nach dem "Sommergespräch" zogen sie sich auch in der Analyse in der "ZiB 2" auf die Meta-Ebene zurück: Kurz, der düstere Warner ("Jeder wird jemand kennen …") von früher, gegen Kurz, den Optimisten ("Licht am Ende …").

Aber was da jetzt an konkreten Maßnahmen gegen Corona kommen soll – Fehlanzeige. Bemerkenswert, wie der scharfsinnige Chefredakteur von "Heute" in seinem Blog nun schon zum zweiten Mal festhält, dass er und die anderen Eltern keine Ahnung haben, wie das in der Schule demnächst laufen wird.

Überzeugungstäter

Am ehesten in die Nähe einer zur Orientierung dienlichen Aussage kam die Bemerkung von Kurz, die Österreicher müssten vielleicht im Herbst und Winter die "sozialen Kontakte mehr einschränken". Das passt. "Einschränken", Verhalten vorschreiben, irgendetwas "schließen", sei es nun die Balkanroute oder die Route, auf der "das Virus mit dem Auto nach Österreich kommt", das ist türkise Substanz. Die schattenhafte Truppe von rechtskatholischen Überzeugungstätern rund um Kurz ist das eigentliche Machtzentrum der Republik. Sie wollen den Österreichern gern etwas vorschreiben. Sie verbinden katholische Kaderdisziplin mit einer Begabung für diskretes Rempeln, wenn keiner hinschaut.

Der verstorbene (liberale) Katholik und ORF-Intendant Ernst Wolfram Marboe rief einmal in den Gängen des ORF: "Jetzt brauchen wir 2000 Jahre katholische Intrige!" Er meinte das halb ironisch. Ironie ist aber Kurz und den Seinen fremd. Aber das muss ja auch nicht sein. Es würde genügen, wenn Kurz sich zu mehr Substanz durchringen könnte.

Vielleicht ist es eine Täuschung, aber diese aufwendige Orchestrierung und Inszenierung des Wiedereintritts von Kurz in den politischen Prozess beginnt zu ermüden. Hintergrundgespräch mit zizerlweise Infos, dann die halb gare "Rede an die Nation". Im Anschluss gezählte elf Zeitungsinterviews, am Schluss die Sommergespräche: immer das Gleiche, nichts Substanzielles, nichts als Ankündigungen. Wenn man die bisherige Politik der Regierungen Kurz I und II analysiert, wird man erkennen, dass das eine gewisse Kontinuität hat. Finanzminister Gernot Blümel belehrt uns etwa, dass wir zu wenig über etwas kompliziertere Sparformen als das Sparbuch wissen, und schlägt einen "Finanzführerschein" vor.

Für so einen Non-Starter geht wertvolle Arbeitsenergie drauf, während wir doch gerne wissen würden, wie es mit dem Budget ausschaut. Kurz ist ein disziplinierter, intelligenter, eloquenter Politiker. Aber da muss mehr kommen, als Inszenierung. Immerhin ist er Kanzler.(Hans Rauscher, 1.9.2020)