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Wien – Vier Minuten sind der Öffentlichkeit bis jetzt bekannt aus dem Ibiza-Video mit Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und Ex-FPÖ-Klubchef Johann Gudenus in den Hauptrollen. Der Film führte bekanntermaßen zur Implosion der türkis-blauen Regierung. Nun konnte der "Kurier" das gesamte Video, das sich über sieben Stunden hinzieht, einsehen, und es zeigen sich bemerkenswerte Widersprüche in Straches Weltbild.

Der Möchtegernkanzler und die Kosmonautin

In einem Gemisch aus Deutsch, Englisch und Russisch wurde in der Finca auf der Baleareninsel "Belastendes und Entlastendes" gesprochen, wie der "Kurier" schreibt. Die ersten zwei Stunden nimmt Strache zuerst einmal für sich in Anspruch, um sich vor dem Lockvogel Alyona Makarova, die er für eine finanzkräftige Oligarchennichte hielt, zu präsentieren. Sein Weltbild als Politiker, seine Pläne als Kanzler. Immerhin fand der Abend im Sommer vor der Nationalratswahl 2017 statt. "Also wir wollen Erster sein, ganz offene Antwort", sagte Strache. Was Frau Makarova, so klingt es zumindest, etwas süffisant so kommentierte: "Ich möchte auch Kosmonautin sein."

Es geht in dem Gespräch um Juden und Islamisierung, aber auch die Feststellung vom ebenfalls anwesenden Detektiv Julian H. für die Runde vor Ort, "dass niemand hier Homosexuelle mag". Neben Strache, Gudenus, der Oligarchennichtendarstellerin und Julian H. war noch die Ehefrau von Gudenus anwesend.

H. war jener, der Strache und Gudenus wohl auch zu besonders lockeren Zungen verhelfen sollte oder wollte, denn, so wird beschrieben, er habe so jede halbe Stunde nachgefüllt: Wodka und Champagner. Strache ließ noch eine weitere Getränke-Vorliebe wissen: "I am the Red Bull Brother." Andere bewusstseinsverändernde oder -erweiternde Substanzen, in welcher Form auch immer, sind in dem Video jedenfalls nicht zu sehen.

Bei Antisemitismus hört sich für Strache alles auf

Strache zeigt sich widersprüchlich. Einerseits spricht er davon, dass der Holocaustleugner und "Rabbi" Moishe F., der an einer Anti-Israel-Konferenz im Iran genommen hat, "ein Lustiger, ein Lieber" sei: "Ich mag ihn ja, aber seine Aussagen teilweise ... hu, ist der schräg." Oder auch: "Die Sozialdemokraten haben natürlich sehr stark die Logen, aber auch, ich sag, jüdische Industrielle wie den Schlaff." Und dann betont er wieder: "Bei Antisemitismus hört sich bei mir alles auf."

Der Hofer wusste das nicht

Zur Gemengelage in der FPÖ sagt der damalige Parteichef, seine engsten Vertrauten seien "Kickl, Hofer, unser Psychologe Ferdinand Stürgkh und Gudenus (...) Ich habe meine Nachfolger aufgebaut, Norbert Hofer oder Gudenus (...) Mit einem starken Norbert Hofer an meiner Seite lohnt es sich nicht, mich zu liquidieren (...), solange ich nicht tot bin, habe ich die nächsten 20 Jahre noch das Sagen." Sein Stellvertreter wisse nichts über den Ibiza-Trip, schreibt der "Kurier": "Der Hofer weiß das nicht."

Interessant an den nunmehrigen Detailschilderungen des Ibiza-Abends sind die medienpolitischen Passagen. Da sagt Strache etwa ganz direkt: "Ich will so eine Rolle wie Orbán." Was Gudenus so beantwortete: "Der Orbán rockt das Land." Das wollte Strache offenbar auch, sagt er doch: "Wir wollen eine Medienlandschaft ähnlich wie der Orbán aufbauen." Also brav regierungstreue Medien.

Und da sollte der "Kronen Zeitung", das ist ja hinlänglich bekannt, eine besondere Rolle zukommen. So wie sich das Video in dem Zusammenhang darstellt, schien die Zeitung von Anfang an das eigentliche Thema des Treffens gewesen zu sein. Denn, so berichtet der "Kurier": Just die Ehefrau von Gudenus war es, die als Erste das Thema "Kronen Zeitung" angesprochen hat. Frau Makarova schien zuerst überrascht, Herr Gudenus bohrte wohl zweimal nach: "Start?"

Na? Jetzt gemma, bringt nichts. Ich bin schockiert

Und auch Strache bekam von Gudenus in etwas kompakter Sprache zu hören: "Wir haben schon gesprochen 'Kronen Zeitung', na?" Strache weiß offenbar – anders als bisher behauptet – Bescheid: "Ja, was ist da schon vorangeschritten, was ist da wirklich konkret?" Gudenus: "Ich habe dir eh gesagt, warum wir hier sind, 'Kronen Zeitung' ist das Hauptthema."

Das war sie dann wohl auch für satte drei Stunden ... wenn auch nicht so ergiebig, wie von Strache erhofft, nach sechs Stunden sagt er schließlich entnervt: "Jetzt gemma, bringt nichts." Da ist es vier Uhr in der Früh, ab in einen Club, ohne die "schoarfe" Oligarchennichte, wie Strache sie bezeichnet hatte.

Aber auch Frau Makarova empfand den Abend offenbar als etwas suboptimal. Sie wird so zitiert: "Wir kommen zu nichts, nur zu etwas 'ja, ja' sagen und ihr steht auf und sagt: Wir fahren weg. Ich bin einfach schockiert."

Straches Anwalt sieht "Skandal der Sonderklasse"

Straches Anwalt Johann Pauer sagte zu den neuen Veröffentlichungen zum STANDARD: "Sollte es tatsächlich stimmen, dass der "Kurier" Einsicht in das Gesamtmaterial erhalten hat, wäre das ein Skandal der Sonderklasse. Mein Mandant hat als Betroffener bis dato nur Einsicht in jene Teile erhalten, die von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft zum Akt genommen und nicht geschwärzt wurden. Die Einsicht kann zudem nur vor Ort, in den Räumlichkeiten der WKStA, vorgenommen werden, und es werden keinem der Verfahrensbeteiligten Kopien ausgehändigt. Wie das Gesamtmaterial an Medien gelangen kann, wenn nur Teile davon Eingang in die Ermittlungsakten finden und diese auch nur vor Ort eingesehen werden können, ist völlig unbegreiflich." (Lisa Nimmervoll, David Krutzler, 1.9.2020)