In einer der ältesten Ecken der Innenstadt hat Wiens bester Thai jetzt eine sehr charmante Dependance eröffnet.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Dass man sich jetzt auch mitten im Ersten die Schädeldecke mit Köstlichkeiten der explosiv scharfen, thailändischen Art wegsprengen kann, ist ganz eindeutig eine der schönsten Konsequenzen des vergangenen Lockdowns. Als nämlich alles zu war und sich auch Wiens bester Thai, All Reis, aufs Liefern verlegen musste, hatten die Betreiber Kunanon Lertyaso und seine Geschäftspartnerin Nisachon Sowantha immer wieder Zeit für ausgedehnte Spaziergänge durch die geisterhaft leere Stadt.

Nicht nur als Rettung vor dem Lagerkoller, sondern explizit mit dem Hintergedanken, dabei vielleicht ein freies Restaurant zu entdecken. Es sollte halt möglichst zentral und, wie das konstant von Fans belagerte Mutterschiff auf der Schweglerstraße und der extrem gut sortierte, vis-à-vis gelegene Thai-Lebensmittelshop, an der U3-Achse gelegen sein.

Haus zum Alten Blumenstock

Fündig wurden sie in der engen, autofreien Ballgasse, zweimal ums Eck vom Stephansplatz, im Haus zum Alten Blumenstock. Seit ein paar Wochen wird deshalb an einem Ort, wo sich einst Beethoven und Grillparzer wirtshausmäßig vergnügten, ganz außerordentlich gute Thai-Küche verabreicht. Die rundum gelegenen, vor allem der Vermittlung gastrotouristischer Wien-Klischees verpflichteten Lokale scheinen zurzeit umständehalber noch Kapazitäten zu haben, beim neuen Thai hingegen findet sich nur mit Reservierung ein freier Platz.

Das ist eine der wesentlichsten Neuerungen im Vergleich zum ersten Lokal: Man muss nicht mehr zwangsweise anstehen, um sich in nervös schillernde Aromengalaxien schießen zu lassen – so man rechtzeitig gebucht hat. In der ziemlich winzigen, semi-offenen Küche steht in diesen ersten Wochen die All-Reis-Chefköchin Napaporn Kongboon, um das System der neuen Location zu optimieren und die Mannschaft zu trainieren.

Dementsprechend hochklassig ist die Performance: Som Tham Thai, Papayasalat mit getrockneten Garnelen, für den das Dressing, wie es sich gehört, ganz frisch im Mörser gestampft wird, entwickelt gewaltige Kraft, die Kombination aus seidiger Knackigkeit, Frische, Süße, Schärfe und der berauschenden Umami-Power der Shrimps absolut unwiderstehlich. Guay Tieaw Lui Suan, fragile Sommerrollen mit Huhn und Pilzen in Kräuter und Reispapier gewickelt, werden in eine düster fruchtige Salsa aus grünem Chili, Limette, Süßbasilikum und Knoblauch getunkt – schießt einen aus dem Stand in jenes Paradies, wo die Kopfhaut vor Capsaicin-Wonneschauern auf ewig prickeln darf.

Unheilbare Sucht

Miang Kham, die giftgrün glänzenden Betelblätter, die man sich mit gehackter Limette, Ingwer, Schalotte, Trockenshrimp, Erdnüssen und geröstetem Kokos füllt, einrollt, in süßsaure Tamarindensalsa tunkt, explodieren wie Silvesterraketen im Mund, hysterische Aromenkaskaden, ein Gaumen-Trip der nach dem ersten Bissen unheilbar süchtig macht.

Hochklassige Performance in der Ballgasse: Knuspriger Entensalat
Foto: Gerhard Wasserbauer

So geht es dahin, von knusprigem Entensalat mit geröstetem Klebreis bis Yen Ta Fo Tom Yum, ein Sci-Fi-Abenteuer in Dayglo-Pink aus hochverdichtet scharfsaurer Suppe, erstklassigen Schlabber-Reisnudeln, pochierten Kalmaren, Garnelen, allerhand Fischbällchen und frittiertem Fischtofu, eine Reise in ferne Geschmacksgalaxien. Unterbrochen nur von dem einen oder anderen Zug am Thai-Eistee mit Milch und Tapioka-Perlen, völlig krankes Gebräu, leider geil. Ein paar Weine vom Freigut Thallern, sogar einer von Loimer, haben es ebenso auf die Karte geschafft – für den Fall, dass man seine Dosis Glück innenstadtkonform begleitet wissen will. Thai-Bier gibt’s nur aus der Flasche, das ist in der Hauptsache eisgekühlt. (Severin Corti, RONDO, 4.9.2020)

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