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Vor Corona gehörte das Gedränge der Gäste und Fotografen zu jeder Show dazu. Hier die Präsentation von Givenchy im März 2020.

Foto: Vianney Le Caer / Invision / AP

Hektik, Chaos, lautes Hupen. Der Sound der Mailänder Modewoche, immer gleich. Limousinen mit getönten Scheiben drücken sich durch die Stadt, die Kameras der Fotografen klicken, in der Caffetteria wird über dem Espresso auf die nächste Show gewartet. Überall Geschnatter, großes Bussi-Bussi und Hallo, entlang des Laufstegs sitzt man Schulter an Schulter – wer Platzangst hat, sollte besser keine Modeschau besuchen.

Zweimal im Jahr herrscht in der Stadt Ausnahmezustand. Der Modedesigner Arthur Arbesser, der seit 15 Jahren in Mailand lebt, kennt sie zu gut, die Hektik der Fashion-Week. Die aufgekratzte Atmosphäre während so einer Modewoche sei durchaus ansteckend, meint er. Sie ist für ein kleines Unternehmen aber auch eine große Anstrengung. Jede Show ist eine Investition, der Mailänder Schauenkalender erzeugt Druck.

Weniger Hektik

Saison für Saison gilt es, sich mit Häusern zu messen, die zu Luxuskonzernen wie Kering oder LVMH gehören. Und abgebrühte Journalisten und Einkäufer in die Show zu locken. Im vergangenen Februar hatte Arbesser seinen Laufsteg an die Mailänder Peripherie verlegt, weil die Gucci-Präsentation danach zwei Häuserecken weiter stattfand. Dreißig Models liefen über den blauen Betonboden des Lagerhauses, kaum hatte sich Arbesser verbeugt, eilten die Gäste schnell, schnell weiter in den Gucci-Hub an der Via Mecenate.

In diesem Herbst wird es in der italienischen Modehauptstadt wahrscheinlich weniger hektisch zugehen, ein Großteil der internationalen Journalisten und Einkäufer wird nicht zur Fashion-Week nach Mailand kommen. Die Stimmung unter den Modeschaffenden? "Alle sind ein bisschen verwundet und müssen sich in der Krise freundlich gegenüberstehen", meint Arbesser.

Corona hat nicht nur die Lombardei, sondern die gesamte Modeindustrie in ihren Grundfesten erschüttert – und stellt damit auch die anstehenden Fashion-Weeks der Big Four infrage. Für Mailand sind die Konsequenzen bereits absehbar. Arthur Arbesser verzichtet wie so mancher Kollege auf einen Laufsteg, Firmen wie Missoni inszenieren ihre Kollektionen ausschließlich digital, Prada und Fendi tüfteln an Modeschau-Konzepten fürs Covid-Zeitalter: mehr Raum für weniger Gäste.

Ruf nach Entschleunigung

Während die Corona-Pandemie die Textilfabriken in Italien und Asien wochenlang lahmlegte, wurden international die Rufe nach einer Entschleunigung der Modeindustrie lauter. Der Belgier Dries Van Noten machte gemeinsam mit Branchenkollegen in einem offenen Brief Vorschläge zu einem neuen Saisonen-Rhythmus, ihm folgte die Initiative "Rewiring Fashion" der Plattform Business of Fashion: Statt Modekollektionen sechs Monate vor deren Verkauf zu zeigen, plädierte man für zeitnähere Präsentationen. Die Frühjahrskollektion könne im Jänner und die Herbstkollektion im Juni gezeigt werden.

Auch Arbesser hat sich der Initiative von Business of Fashion angeschlossen: Er wird im September zwar in der Nähe von Mailand ein Lookbook für seine Frühjahrskollektion 2021 produzieren und während der Fashion-Week in sein Studio laden. Die Kollektion zeigt er aber erst im Dezember oder Jänner – wahrscheinlich im Rahmen einer Ausstellung. "Ich glaube nicht mehr, dass ich Teil eines Fashion-Week-Kalenders sein muss, es hat sich viel verändert in den vergangenen Monaten", meint Arbesser.

Zeitgemäße Konzepte

Es stehen drängende Fragen im Raum: Ist das Konzept der Fashion-Weeks noch zeitgemäß? Muss der internationale Modetross wirklich zweimal im Jahr von New York nach London nach Mailand und nach Paris jetten? Nicht zu vergessen all die Modewochen, die in den vergangenen Jahren in Schanghai, Moskau, Warschau aufgepoppt sind, sowie jene aufgeblähten Cruise-Spektakel. Braucht es unendlich viele Kollektionen und Zwischenkollektionen? Und nicht zuletzt: Reichen Online-Formate nicht aus, um Mode erfahrbar zu machen?

Ein Vorteil der digitalen Präsentationen liegt auf der Hand: Die Zuschauer sind vor dem Bildschirm nicht abgelenkt vom Trubel der Fashion-Week, die Aufmerksamkeitsspanne der geladenen Gäste reicht oft nicht mehr vom Anfang bis zum Ende einer Show. Und: Der Fantasie der Modeunternehmen sind keine Grenzen gesetzt – vom dreiminütigen Modevideo bis zum zwölfstündigen Livestream ist vieles möglich. So jagte in den vergangenen Monaten ein digitales Experiment das nächste.

Die London Fashion Week wie die Pariser Couture-Schauen wurden online gestreamt, die Männermodewochen? Ein Hybrid aus Laufstegshows (zum Beispiel bei Dolce & Gabbana und Etro) und digitalen Präsentationen. "Doch kann das digitale Äquivalent der Modeschau das Wasser reichen?", fragte nicht nur die New York Times. Die vergangenen Monate haben gezeigt: Wenn ein Kollektionsvideo durchdacht produziert wird, kann eine Online-Präsentation aufgehen. Nicht immer ist dabei das Budget entscheidend.

Drohnen-Video

Das führten zum Beispiel der Margiela-Designer John Galliano und der britische Fotograf Nick Knight vor: Eine knappe Stunde kann man Galliano und seinem Team beim Entstehen der Couture-Kollektion zusehen, zwei Monate lang wurden Zoom-Calls und Face-Time-Anrufe des Designteams aufgenommen, Drohnen und Wärmebildkameras eingesetzt, herausgekommen ist eine erstaunlich kurzweilige Film-Collage, die der Generation Y und Z zeigen soll, wie Mode gemacht werde, so Galliano.

Vom Aussterben bedroht ist das bewährte Format allerdings nicht. Mittlerweile kehren vor allem jene, die sich jeden Aufwand leisten können, zur klassischen Fashion-Show zurück: "Nichts vermittelt besser Emotionen als eine Modeschau", erklärte unlängst Pietro Beccari, CEO des Modehauses Dior.

Zum Beweis zeigte das zum Konzern LVMH gehörende Unternehmen seine Cruise-Kollektion im Rahmen einer aufwendigen Show und Performance in Apulien, nur auf Gäste vor Ort wurde verzichtet. Die Investition dürfte sich dennoch gelohnt haben: Das knapp halbstündige Video zur Show wurde allein auf Youtube mehr als 1,3 Millionen Mal aufgerufen.

Wer was auf sich hält, verkündet derweil individuelle Show-Lösungen: Das zum Luxuskonzern Kering gehörende Label Gucci will in Zukunft nur noch zwei Modeschauen pro Jahr zeigen, das Modehaus Saint Laurent hat angekündigt, seine Schauen unabhängig vom Modekalender zu zeigen. Ob die Journalisten, Einkäufer, Influencer da in Zukunft noch durchblicken werden?

Unabhängige Labels

Auch für unabhängige Labels, die noch am Anfang stehen, gilt die Teilnahme an einer Fashion-Week nicht mehr als das Nonplusultra. Die österreichische Strickmode-Designerin Christina Seewald, Abgängerin der Londoner Hochschule Central Saint Martins, ist der Meinung: "Der Fashion-Kalender sollte sich verändern."

Sie hat während des Lockdowns zum ersten Mal mit acht Models eine virtuelle Show auf die Beine gestellt, das dreieinhalb Minuten lange Video im Mai auf Instagram und Youtube gestreamt und festgestellt: "Für kleinere Brands ist das eine echte Alternative." Trotz des schmalen Budgets habe sie so ihre Bekanntheit steigern können. Die deutsche Vogue und das Magazin i-D schrieben über ihr Label, Einkäufer kontaktierten die in Graz geborene Designerin auf Instagram, im Moment baut sie ihren Webshop auf.

Corona hat Seewald zum Umdenken gebracht. Die Modedesignerin visiert nicht mehr ausschließlich den internationalen, sondern auch den österreichischen Markt an, hat während der vergangenen Monate in Wien Pop-up-Verkäufe gemacht, während der Vienna Fashion Week wird sie ihre Strickstücke neben anderen österreichischen Labels verkaufen.

Lokale Labels

Tatsächlich könnte die Krise jenen Modeunternehmen zugutekommen, die vor Ort präsent sind. Elvyra Geyer, die zusammen mit Maria Oberfrank und Ziggy Mueller heuer zum zwölften Mal die Vienna Fashion Week veranstaltet, glaubt: "Lokale Labels können von der momentanen Situation profitieren. Man fährt nicht mehr einfach so ins Ausland, um zu shoppen, man tut das vielleicht eher im eigenen Land."

Ob das Event, das (mit den Veranstaltungsregeln vom August) vom 7. bis 12. September stattfinden wird, auf verstärktes Interesse stoßen wird, mag Geyer nicht prognostizieren. In einer Sache sind sich die Veranstalterinnen einig: Eine digitale Variante der Wiener Modeveranstaltung, die in erster Linie Endverbraucher ins weiße Modezelt vor dem Wiener Museumsquartier lockt, kommt nicht infrage. "Kleidungsstücke in Bewegung muss man live sehen. Ein Screening ohne Zuschauer würde für uns nicht funktionieren." Und: "In Zeiten von Corona ein Zeichen für die lokale Mode zu setzen ist wichtig." Der Dresscode der Schauenbesucher steht in dieser Saison schon fest: Ohne Maske kommt niemand ins Zelt rein. (Anne Feldkamp, RONDO, 7.9.2020)