Stepan Putilo tritt seit 2015 öffentlich als Kritiker des Lukaschenko-Regimes auf.

Foto: Stepan Putilo/Facebook

Alexander Lukaschenko gilt als "letzter Diktator Europas". Seit über einem Vierteljahrhundert, genauer gesagt dem Jahr 1994, regiert er in Belarus. Die unter seiner Führung abgehaltenen Wahlen, inklusive jener in diesem Jahr, wurden noch nie als frei und fair eingestuft. Dennoch konnte sich der Autokrat durch geschicktes "Interessenmanagement" zwischen dem Westen und dem großen Nachbar Russland, von dem man wirtschaftlich stark abhängt, an der Macht halten.

Doch nun könnte sein Regime stürzen. Nachdem ihm nach den letzten Wahlen offiziell über 80 Prozent der Stimmen zugerechnet worden sind – das Ergebnis wird von der EU und zahlreichen anderen Staaten nicht anerkannt –, ist das Land Schauplatz andauernder Massenproteste. Als Galionsfigur der Bewegung gilt Swetlana Tichanowskaja, die anstelle ihres von den Behörden von der Wahl ausgeschlossenen Mannes Sergej Tichanowski angetreten und aus Angst vor Verfolgung nach Litauen geflohen ist.

Doch die Opposition, die die Gründung einer Partei angekündigt hat, verfügt über ein Sprachrohr, das ihr an den Lukaschenko-treuen Staatsmedien vorbei Gehör bei vielen Belarussen verschafft. Und zwar den Blogger Stepan Putilo (22).

Wichtiger Koordina

tionskanal

Putilos "Nexta"-Netzwerk (Aussprache: "Nekh-ta", was in der Landessprache schlicht "jemand" bedeutet) ist seit den Protesten vor allem über den verschlüsselten Messenger Telegram aufgeblüht. Dort erreicht er mittlerweile über zwei Millionen Nutzer mit "Nexta_live", das bereits unter die 15 reichweitenstärksten Telegram-Kanäle der Welt aufgerückt ist.

Während der Internetzugang in Belarus und der Zugriff auf verschiedene unabhängige Nachrichtenquellen und soziale Netzwerke teils stark beeinträchtigt waren, blieb Putilos Kanal erreichbar und transportierte Informationen aus der Protestbewegung. Etwa Aufrufe zu Versammlungen, die Positionen von Regierungstruppen, Tipps von Menschenrechtlern und Anwälten oder Bitten an Anwohner an Demonstrationsorten, ihr WLAN für Protestierende freizugeben, um ihnen Internetzugang zu ermöglichen, sollte wieder einmal das Mobilfunknetz abgedreht oder eingeschränkt werden.

Seit 2015 ein Stachel im Fleisch

Bekannt wurde Putilo im Jahr 2015. Damals fiel er vor allem durch ein satirisches Musikvideo auf. Er adaptierte einen russischen Rocksong namens "No Exit" zu einer Kritik an Lukaschenko und seiner Regierung um. Als das Video größere Bekanntheit erreichte, wurden Sicherheitskräfte an der Schule des damals 17-Jährigen vorstellig, dokumentiert das Portal "Rest of World".

Viel Zulauf erhielt er auch nach der Veröffentlichung einer Dokumentation über Alexander Lukaschenko, die von einem Gericht als "extremistischer" Inhalt eingestuft und verboten wurde, schreibt die BBC.

Hohe Reichweite ganz ohne Website

Mittlerweile wohnt Putilo in Polen. In Belarus war er seit 2018 nicht mehr, nachdem die Behörden damit begonnen hatten, ihn strafrechtlich wegen Beleidigung des Präsidenten zu verfolgen. Im gleichen Jahr rief er den Telegram-Kanal für sein Medienprojekt ins Leben.

Seine Plattform beschäftigt mittlerweile vier Mitarbeiter, die allesamt im Ausland wohnen, um möglichst vor Verfolgung geschützt zu sein. Quellen können sich anonym melden, sofern ihre Identität nicht zwingend für einen Artikel relevant ist.

Eine offizielle Website gibt es nicht, auch weil der Zugriff auf eine solche aus Belarus leicht gesperrt werden könnte. Neben Telegram nutzt man auch Youtube, Instagram und Twitter, wo man teils hunderttausende Abonnenten hat. Der Durchbruch gelang 2019, als Putilo eines Leaks aus dem belarussischen Innenministerium habhaft wurde und über den mysteriösen Tod eines Polizisten berichtete.

Kritik

Es gibt allerdings auch Kritik am "Nexta"-Projekt. Manche Nachrichten, die man von anonymen Quellen übernommen hatte, stellten sich im Nachhinein als falsch heraus. So vermeldete man etwa den Tod eines Demonstranten durch Polizeigewalt, musste aber einige Stunden später richtigstellen, dass dieser eine Konfrontation mit den Beamten überlebt hatte.

Aus der eigenen Mission macht man allerdings kein Hehl. Chefredakteur Roman Protasewitsch hält es auch nicht für notwendig, alle Eingaben auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Verantwortlich sieht er sich nur "im Hinblick darauf, ob es die Menschen zum Sieg führt und das Ende der Diktatur bringt".

Unklar ist auch, wie sich das Projekt finanziert. In der Vergangenheit erklärte Putilo, dass man sich mit Spenden von Unterstützern und dem Geld aus seinem Universitätsstipendium über Wasser halte. Ein "Nexta"-Mitarbeiter erklärte der BBC aber kürzlich, dass man keine Spenden annehme, sondern Einnahmen mit Werbung erziele.

Diktator klammert sich an seine Macht

Ob der Protest in Belarus letztlich das Ende der Ära Lukaschenko einleitet, steht derweil noch in den Sternen. Während die EU den Präsidenten und Personen aus Regierungskreisen mit Sanktionen belegt und der Opposition finanzielle Unterstützung zugesagt hat, hat Russland ein militärisches Eingreifen nicht ganz ausgeschlossen. Lukaschenko, der das Narrativ des aus dem Ausland gesteuerten Aufstands pflegt, zeigt sich derweil kriegerisch und hat Militär und Polizei mobilisiert, um die Demonstrationen zu beenden. (gpi, 2.9.2020)