Wenn ein Leckerbissen wartet, werden Goffin-Kakadus gern erfinderisch. Da wird auch einmal ein Streifen Karton abgebissen und zum Werkzeug umfunktioniert.

Foto: Bene Croy

Die Zeiten, in denen Werkzeuggebrauch als menschliches Alleinstellungsmerkmal galt, sind lang vorbei: Mittlerweile ist klar, dass auch einige Tiere dazu zumindest in einem gewissen Ausmaß imstande sind. Als besonders geschickt in Testsituationen hat sich dabei eine nur auf einer kleinen Inselgruppe vorkommende Papageienart erwiesen: der Goffin-Kakadu.

Alice Auersperg vom Messerli-Institut der Veterinärmedizinischen Universität in Wien widmet sich den klugen Vögeln seit Jahren – kürzlich hat sie für ihre Forschung einen von sieben Start-Preisen des Wissenschaftsfonds FWF erhalten.

Die wissenschaftliche Karriere Alice Auerspergs liest sich so international wie engagiert: 1981 in Bayern geboren, studierte sie Zoologie an der schottischen Universität Edinburgh, schrieb dann ihre Doktorarbeit am Department für Kognitionsbiologie der Universität Wien, wo sie nach ihrer Promotion 2011 auch eine Postdoc-Stelle bekleidete.

Forschungsstation

Im selben Jahr gründete sie eine eigene Forschungsstation, die sich mit den kognitiven Fähigkeiten der Goffin-Kakadus befasst, das Goffin Lab Goldegg. Gleichzeitig arbeitete sie auch am Max-Planck-Institut in Leipzig mit Menschenaffen und beforschte von 2013 bis 2015 im Rahmen eines Schrödinger-Stipendiums an der Universität Oxford die technische Kognition bei verschiedenen Rabenvögeln und Papageien. Danach kehrte sie nach Wien zurück, wo sie das Goffin Lab Goldegg 2016 in das Messerli-Institut der Universität für Veterinärmedizin in Wien eingliederte, an der sie sich 2018 auch habilitierte.

Alice Auersperg hat es auf Vögel abgesehen – oder umgekehrt?
Foto: Robert Bayer

Schon im Rahmen ihrer Dissertation befasste sich Auersperg mit Werkzeuggebrauch der Vögel, konkret mit technischer Kognition des Neuseeland-Keas, einer anderen Papageien-Art. Von da war es nicht mehr weit zu ihren jetzigen Studienobjekten: "Die Goffin-Kakadus sind auffällig, weil sie so ein ausgeprägtes Objektspiel haben", erklärt Auersperg.

Stapeln, öffnen, erfinden

Objektspiel ist dabei der wissenschaftliche Ausdruck für das Ausprobieren verschiedener Betätigungsmöglichkeiten an Dingen, sie etwa übereinanderzustapeln, sie in Öffnungen zu stopfen oder sie ineinanderzustecken. Wie Auersperg unter anderem in Rahmen von drei FWF-Projekten zeigen konnte, sind die Goffins hervorragende Problemlöser: So sind auch untrainierte Vögel imstande, fünf verschiedene Verschlussmechanismen einer Box zu überwinden, in der sich eine begehrte Cashew-Nuss befindet.

Auch die Benützung von Werkzeug stellt für die Tiere kein Problem dar: Im Bedarfsfall biegen sie Drähte zu Haken oder benützen ein Stäbchen, um einen Mechanismus zu betätigen, an dessen Ende ein Leckerbissen auf sie wartet. Mehr noch: Bei Bedarf sind sie imstande, technische Hilfsmittel selbst zu erzeugen, etwa indem sie Splitter von einem Brett oder Streifen von einem Karton abbeißen und diese verwenden, um an das Gewünschte zu gelangen.

Kein Werkzeug in freier Wildbahn

In freier Wildbahn wurde bisher kein Werkzeuggebrauch beobachtet; dahingehende Forschungen des Messerli-Instituts sind allerdings im Gange. Goffin-Kakadus kommen ausschließlich auf den zu den Molukken gehörigen Tanimbar-Inseln in Indonesien vor. Auersperg sieht in dem vielfältigen und im Jahreslauf wechselnden Nahrungsangebot der tropischen Inseln den Grund für ihre ausgeprägte Neugier und ihre Geschicklichkeit im Umgang mit verschiedenen Dingen: In ihrer natürlichen Umwelt kann Essbares von allen möglichen Hindernissen umgeben sein.

In einem kürzlich angelaufenen Projekt, das vom Wiener Wissenschafts- und Technologiefonds WWTF finanziert wird, vergleicht Auersperg in Zusammenarbeit mit der Psychologin Sarah Beck von der englischen Universität Birmingham und der Wiener Verhaltensökologin Sabine Tebbich die technisch-kognitiven Leistungen der Goffin-Kakadus mit jenen von Kindern. "Kinder benutzen zwar ab circa zwei Jahren Werkzeuge problemlos, aber sie erfinden und bauen keine eigenen. Das setzt erst mit sieben bis acht Jahren ein", erläutert Auersperg. "Die Vögel können das aber. Wir versuchen herauszufinden, was für diese Entwicklung ausschlaggebend ist." Derzeit macht das Projekt allerdings Corona-bedingt Pause.

Vergleichsstudien

Mit den Mitteln aus dem Start-Preis – 1,2 Millionen Euro – will Auersperg ein langersehntes Vorhaben verwirklichen, nämlich innerhalb eines zusammenhängendes Projektes die Fähigkeiten der Kakadus aus verschiedenen Blickwinkeln zu untersuchen. Das beinhaltet sowohl systematische Feldforschung als auch Entwicklungsstudien und direkte Vergleichsversuche mit anderen Arten. Am Ende soll eine tragfähige Hypothese bezüglich der Frage herauskommen, welche Rahmenbedingungen zur Entstehung von Werkzeuggebrauch führen – sowohl beim Menschen als auch bei den Vögeln, die durch immerhin 300 Millionen Jahre Entwicklungsgeschichte getrennt sind.

Letztendlich hofft die Start-Preis-Trägerin, die wohl schwierigste Frage zu lösen: "Was verstehen die Vögel wirklich?" Eines weiß sie schon jetzt ganz sicher: "Als Haustiere in einer Wohnung sind sie nicht geeignet. Sie sind hochintelligent und brauchen intensive Beschäftigung. Dabei bleiben sie auf dem Stand eines vier- bis fünfjährigen Kindes, und das circa 40 Jahre lang." (Susanne Strnadl, 6.9.2020)