Sofia –

In der bulgarischen Hauptstadt Sofia sind am Mittwoch dutzende Menschen bei Zusammenstößen zwischen Regierungskritikern und Polizisten verletzt worden. Laut Krankenhausangaben wurden mehr als 45 Personen verletzt, darunter mindestens 27 Polizisten und mehrere Journalisten.

Zuvor hatten Demonstranten versucht, eine Polizeiabsperrung um das Parlament zu durchbrechen. Die Proteste richten sich gegen die Regierung von Ministerpräsident Boris Borissow, dem die Demonstranten Korruption und Nähe zu Oligarchen vorwerfen.

Tausende Demonstranten skandierten im Zentrum von Sofia "Rücktritt" und "Mafia". Einige warfen mit Steinen, Eiern und Tomaten. Die Polizei setzte Pfefferspray und Tränengas gegen die Menschen ein. Sechs der ins Krankenhaus eingelieferten Verletzten hatten Verbrennungen oder Atemprobleme.

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Ausschreitungen in Sofia.
Foto: REUTERS Fotograf: STOYAN NENOV

35 Menschen wurden festgenommen. Die meisten davon sind laut dem Polizeipräsidenten Georgi Chadschiew bereits straffällig gewordene Fußball-Ultras. Chadschiew wies Anschuldigungen von Menschenrechtsaktivisten zurück, wonach die Einsatzkräfte unverhältnismäßig hart gegen die Demonstranten vorgegangen seien.

Das bulgarische Parlament berät sich nach der gerade zu Ende gegangenen Sommerpause über einen Vorschlag der Regierung zur Änderung der Verfassung. Am Mittwoch konnte Borissows Partei GERB die nötigen 120 Stimmen mobilisieren, um den Vorschlag einen Schritt weiter zu bringen – Beobachter bezweifeln aber, dass die Regierung die nötigen 160 Stimmen zusammenbekommt, um die nächste Stufe des Verfahrens zu erreichen.

Vor den Polizeiabsperrungen liegt Stroh herum.
Foto: AFP/Doychinov

Kritiker werfen Borissow vor, dass die Verfassungsreform keine stärkeren Rechenschaftspflichten für den Chef der bulgarischen Staatsanwaltschaft vorsieht. Der aktuelle Chefankläger Iwan Geschew sieht sich wegen mutmaßlicher Verbindungen zu den mächtigen Oligarchen des Landes ebenfalls mit Rücktrittsforderungen konfrontiert. Gleichzeitig soll die Reform aber die Rechte des Präsidenten beschneiden.

Angesichts der Proteste forderte der bulgarische Präsident Rumen Radew im Parlament abermals vorgezogene Neuwahlen. "Das Vertrauen ist definitiv verloren", sagte der von den oppositionellen Sozialisten unterstützte ehemalige General. Razzien der Staatsanwaltschaft an seinem Amtssitz hatten die Proteste vor zwei Monaten ausgelöst.

Borissow ist seit zehn Jahren fast ununterbrochen an der Macht. 2013 und 2016 trat er jeweils zurück, kehrte aber wenige Monate später wieder an die Regierungsspitze zurück. Bisher weigert er sich allerdings, vor Ablauf seiner dritten Amtszeit im März nächsten Jahres zurückzutreten.

Bulgarien gilt als das EU-Land, in dem Korruption am weitesten verbreitet ist. Das Land ist vergleichsweise arm und wenige Oligarchen kontrollieren weite Teile der Wirtschaft. (APA, red, 2.9.2020)