Nichts war wie sonst. Das gilt nicht nur für die von Covid-19 gebeutelte Gesellschaft, das galt auch für das insgesamt 67. STANDARD-Wohnsymposium. Die Veranstaltung in Zusammenarbeit mit dem Fachmagazin Wohnen Plus fand unter einem strengen Hygienekonzept statt. Wer nicht an seinem angestammten Platz saß, musste die Maske aufsetzen, eine Vermischung der Teilnehmer war nicht gestattet, und die obligatorische Kaffeepause fiel aus. Und doch zeigte der Andrang: Die Menschen sind froh, dass es endlich wieder losging.

Karikatur: Oliver Schopf

Das Beste aus beiden Welten

Und dann noch dazu an einem Ort, der besser zum Thema nicht passen könnte. Denn das Symposium, unter dem Titel "Konservieren oder verdichten? Urbane Erneuerung als Zukunftschance" stehend, fand im ehemaligen Sophienspital statt, das in den nächsten Jahren zum Sophie 7 umgewandelt wird. Das 1881 erbaute Spital in Wien-Neubau wird dabei teilweise saniert; die historischen Spitalpavillons bleiben erhalten, der an den Gürtel grenzende Teil wird abgerissen und völlig neu gestaltet. Hier sollen in mehreren Türmen geförderte Wohnungen entstehen, der in der Mitte liegende Park soll nicht nur den Bewohnern, sondern auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Das zukünftige Sophie 7 ist damit das Beste aus beiden Welten: Hier wird konserviert und verdichtet. Denn, und das machten die Experten und Praktiker in ihren Vorträgen klar, ein Oder kann es bei dieser Frage nicht geben. Ist doch der Platz in der Stadt und in stadtnahen Gebieten begrenzt.

Das Problem sprach auch Michael Gehbauer, Geschäftsführer der WBV-GPA, zum Einstieg an, als er das Projekt Sophie 7 vorstellte. An diesem historischen Standort sei es umso wichtiger gewesen, eine gerechte Antwort auf alle relevanten Fragen zu finden, betonte er – sei es nun Klimaschutz, Denkmalschutz oder Lichteinfall.

Radikal und mutig denken

Andreas Hofer, Architekt und Intendant der Internationalen Bauausstellung 2027 in Stuttgart, knöpfte an das kooperative Denken Gehbauers an, machte darüber hinaus aber auch auf ein weiterreichendes Dilemma aufmerksam. Er nannte Häuser und Wohnungen "die langfristigsten Konsumgüter, die wir herstellen", und forderte auch eine solche Verantwortung dieser Aufgabe gegenüber. Neubauten sollten auf einen Zeitraum von 400 Jahren angelegt werden oder ihre Bausubstanz vollständig recycelbar sein. "Wir dürfen keinen Abfall mehr produzieren", sagte er und versuchte damit die anwesenden Leute der Branche zu mehr Mut zu animieren.

Dieser blitzte in den darauffolgenden Vorträgen immer wieder auf. Seien es Sanierungen der Südtiroler Siedlungen in Tirol, Aufrüstung von Gemeindebauten in Wien, geplante Dachausbauten oder eben das bereits angesprochene Sophie 7. Die Experten und Praktiker zeigten, was bereits gemacht wird und was noch möglich ist.

Einige kamen aber nicht ohne Kritik an der Politik aus. Ja, in Wien wäre es schon besser als in vielen anderen Städten, aber viel, was auf dem Papier schön klingt, werde nicht umgesetzt, betonte etwa der Bauunternehmer Hans Jörg Ulreich. Diese und mehrere Punkte griffen Nina Tomaselli, Nationalratsabgeordnete und Bautensprecherin der Grünen, und Kathrin Gaál, Wiener Stadträtin u. a. für Wohnen, Wohnbau und Stadterneuerung (SPÖ), in ihrer politischen Debatte auf.

Thema Klima beherrscht die Branche

Auffällig bei den Vorträgen: Das Thema Klima beherrscht die Baubranche mehr denn je. Schließlich geht es nicht mehr nur darum, ein Bestandshaus in seiner Wohnqualität auf ein neues Level zu hieven. Wenn dabei die Energiebilanz nicht verbessert werden kann, ist das Projekt sinnlos. Klimafitness ist dabei ein oft benutzter Begriff: Für den Neubau sind bereits strikte Regelungen in Kraft, um die Gebäude möglichst CO2-neutral zu machen; diese fehlen aber beim Bestand. Vor allem im privaten Wohnbau setzt die Politik auf finanzielle Anreize und mehr Information, kann aber Eigentümer zu nichts verpflichten.

Dabei darf aber auch nicht aus den Augen verloren werden, für wen gebaut wird. Denn Sanierungen sind zwar in erster Linie eine Kostenfrage, gleichzeitig aber auch eine große Veränderung für die Menschen vor Ort. Ob nun konserviert oder verdichtet wird, Wandel muss erklärt und vorgelebt werden. Laut den Experten und Praktikern braucht es beides. Und das so schnell wie möglich. (Thorben Pollerhof, 2.9.2020)