Ein typisches Kryokonitloch im Eis.
Foto: Gary Barker

Emissionen, die bei Bränden entstehen, können vom Wind über weite Strecken verweht werden und so auch Eisflächen erreichen, ob in der Arktis oder im Hochgebirge. Da der Staub dunkler ist als das Eis, absorbiert er mehr Sonnenlicht, und die Erwärmung lässt winzige Schmelztümpel entstehen – sogenannte Kryokonitlöcher.

Innsbrucker Forscher haben nun zusammen mit internationalen Kollegen die Viren untersucht, die in solchen Kryokonitlöchern existieren (denn Viren sind überall). Dabei machten sie die erstaunliche Entdeckung, dass die Viren einander stark ähneln, egal ob sie nun aus der Arktis oder aus den Alpen stammen.

Hintergrund

Viren sind die häufigsten biologischen Strukturen auf der Erde. Sie kommen überall vor, wo es Leben gibt und infizieren wahrscheinlich alle lebenden Organismen, von vielzelligen Tieren bis zu Bakterien. Sie programmieren dabei ihren Wirt so um, dass dieser neue Viren erzeugt. Da sie sich ohne Wirt nicht vermehren können, gelten sie nicht als Lebewesen.

Ein internationales Team um Christopher Bellas vom Institut für Ökologie der Uni Innsbruck hat nun die Genome von Viren analysiert, die in den Alpen, Grönland und Spitzbergen in Kryokonitlöchern als Bakteriophagen existieren, also Bakterien befallen.

Überraschende Ergebnisse

Die Forscher gingen zunächst davon aus, dass die weit voneinander entfernt liegenden Kryokonitlöcher Viren enthalten würden, die nur entfernt miteinander verwandt sind. Zu ihrer Überraschung waren die meisten einander aber bemerkenswert ähnlich. "90 bis 95 Prozent ihrer etwa 50.000 Basenpaare langen DNA waren identisch", sagt Bellas.

In jedem Viren-Genom gab es aber viele kleine Abschnitte, etwa 500 Basenpaare lang, in denen das Erbgut anderer, verwandter Viren wiederholt ein- und ausgebaut wurde – ein Prozess, der Rekombination genannt wird. Bei diesen Regionen handelt es sich oft um Gene, die es den Viren ermöglichen, neue Wirte zu erkennen und zu infizieren. Die nahezu identischen Viren können also wahrscheinlich die Fähigkeiten austauschen, verschiedene Wirte zu infizieren. "Das verleiht den Viren das Potenzial, sich schnell an verschiedene Wirte anzupassen", so Bellas.

"Triebfeder der Evolution"

In der Evolution von Viren spielt die Rekombination eine wichtige Rolle. Im konkreten Fall kann dieser Austausch stattfinden, wenn zwei verschiedene Viren gleichzeitig dasselbe Bakterium infizieren. Wenn der Wirt dann neue Viruspartikel erzeugt, können sich Teile der Virus-DNA vermischen und so neue Virusvarianten entstehen.

Für die Forscher lieferte die Untersuchung einen überraschenden Einblick in die Evolution von Viren. Diese wird laut Bellas üblicherweise im Labor studiert, wobei meist nur ein einziger Virustyp und ein einziges Wirtsbakterium verwendet werde. Dabei lassen sich kleine Mutationen in einzelnen DNA-Buchstaben im Laufe der Zeit beobachten. Wäre dem auch in der Natur so, sollte man an isolierten Orten niemals genau die gleichen Virusgenome finden.

Die neuen Studie, in der Viren in ihrer natürlichen Umgebung als ganze Gemeinschaft betrachtet wurden, zeigte dagegen, dass "die Rekombination zwischen Viren die größte Triebfeder der Evolution bei Bakteriophagen ist", so Bellas. Der Brite forscht mit einem Lise-Meitner-Stipendium des Wissenschaftsfonds FWF in Innsbruck. (red, APA, 5. 9. 2020)