Leiden mit, leiden für und leiden als Maria Callas: Marina Abramović zweifach bei ihrer Hommage an eine Opern-Ikone.

Foto: Wilfried Hösl

Es war ein Tauziehen bis kurz vor Anpfiff: In letzter Minute wurde die in Bayern geltende Zuschauerobergrenze für Nikolaus Bachlers Opernhaus von 200 ausnahmsweise auf 500 erhöht. Landesherr Markus Söder, der gerne den feschen Corona-Oberbekämpfer für die ganze Republik gibt, hatte ein Einsehen. Am Premierentag wurden ab frühen Vormittag denn auch zusätzliche Karten problemlos unter die Leute gebracht, das Haus wirkte dann nicht leer. Generell wäre es auch eine bittere Lachnummer geworden, wenn man in einem Haus mit 2100 Plätzen bei der starren Begrenzung geblieben wäre. Man hätte damit die Lehrvorführung ignoriert, mit der die Salzburger Festspiele imponiert haben.

So konnte das eigentlich schon für April geplante Projekt 7 Deaths of Maria Callas als Hoffnungszeichen endlich über die Bühne gehen. Für Performerin und bekennende Callas-Verehrerin Marina Abramović war das eine Herzensangelegenheit: Sie verantwortet nicht nur Regie und Bühne – sie übernimmt auch die Rolle der Titelheldin. Kurz vor ihrem eigenen Ableben, das auf der Bühne zur laufenden Nummer acht wird, ziehen die berühmtesten Bühnentode der Ausnahmesängerin des 20. Jahrhunderts an Abramovićs innerem Auge vorbei. Während sie als Maria C. regungslos auf dem Totenbett liegt, marschieren sie allesamt in mausgrauer Tracht auf und liefern ihr Arienschmuckstück der Kategorie "schöner Sterben mit Musik" ab. Violetta Valéry, Tosca, Desdemona, Cio-Cio-San, Carmen, Lucia und natürlich Norma. Das gelingt den sieben Sängerinnen mehr oder weniger überzeugend.

Das letzte Wort

Die Sopranistin Lauren Fagan schließlich muss sich bei der Arie Casta Diva sogar dem direkten Vergleich mit der Callas stellen. In einer Einspielung aus 1954 hat sie das sozusagen letzte Wort des Abends: Maria singt bei geschlossenem Vorhang, sparsam umschmeichelt vom abstandsaufgelockert in den ersten Parkettreihen platzierten Bayerischen Staatsorchester unter Leitung von Yoel Gamzou. Dahinter, an der Rampe, versucht Marina, im Glitzergewand und mit großer Geste, das Bühnencharisma der Callas zu imaginieren.

Verbunden werden die Teile dieser Best-of-Revue mit Videos, die den jeweiligen Bühnentod vorbereiten. Abramović raunt assoziative Texte, die von ihr und Petter Skavlan stammen. Zugespielt wird ein Sound, mit dem sich der serbische Komponist Marko Nikodijević gegen das ganze italienische Opernpathos zu stemmen versucht, ohne ihm jedoch wirklich zu entkommen.

Am Ende begleitet seine Musik den von Abramović sparsam "performten" Tod der Callas, vor dem sie das Bett verlässt, das Fenster öffnet und das lichte und klingende Paris mit großem Klangeffekt ins Zimmer lässt. Dabei zählt sie ihre Schritte und entschwindet schlicht und einfach ins Bad. Eine Performanceerleuchtung war das nicht.

Qualität durch Video

Eine szenische Pointe liefern die sieben Sängerinnen, die schließlich noch einmal als Putzkolonne auftauchen, aufräumen und desinfizieren und alles mit schwarzen Tüchern verhängen. Man denkt: Im Grunde ist das alles unspektakulär und vorhersehbar gebaut, eine eigene ästhetische Qualität beanspruchen eher die Videos, bei denen Nabil Elderkin Regie geführt hat. Neben Abramović ist dabei auch Hollywoodgröße Willem Dafoe zu sehen: Tosca springt hier in Zeitlupe von einem Wolkenkratzer, Otello legt Marina/Desdemona eine würgende Riesenschlange um den Hals.

Puccinis Madama Butterfly spaziert mit Dafoe durch eine verstrahlt-zerstörte Landschaft, bis sie sich den Schutzanzug aufreißt und mit entblößter Brust tot zu Boden sinkt. Als Norma schließlich schreitet sie an der Seite des als Frau kostümierten Dafoe in ein loderndes Feuer. Tja. Für sich genommen sind das alles Hingucker, aufs Ganze gesehen aber doch eher szenische Behauptungen, die in wabernden Wolkengebirgen schweben. Die Oper neu erfunden hat Abramović damit natürlich nicht.

Allerdings gilt wohl auch für die Bayerische Staatsoper: In diesen seltsam fragilen Zeiten ist noch jeder Vorhang, der sich hebt, tatsächlich ein Erfolg. Also auch dieses Münchner Best-of-Projekt von Abramović, diese ganz persönliche Hommage einer bedeutenden lebenden an eine dann auch wieder irgendwie unsterbliche Operntragödin. (Joachim Lange, 3. 9. 2020)