Michael Ludwig (SPÖ) und die Grüne Birgit Hebein gehen erstmals als Spitzenkandidaten in die Wien-Wahl. Das Verhältnis zwischen den beiden war zuletzt nicht friktionsfrei.

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Als Birgit Hebein im Juni bei der Präsentation der Pläne zur verkehrsberuhigten Wiener Innenstadt strahlend von einem "historischen Augenblick" sprach, da hatte sie damit wohl mehr recht, als ihr heute lieb ist. Denn vorerst ist es beim Augenblick geblieben. Der rote Koalitionspartner in der Stadtregierung legte sich quer. Bürgermeister Michael Ludwig sah darin eine unausgegorene Lösung, die nur ein Einfahrtsverbot mit einigen Ausnahmen vorsieht. Und das nicht ganz zu Unrecht: Was mit dem gewonnenen öffentlichen Raum passieren soll, steht nämlich noch nicht fest.

Ludwig lässt seine vorpreschende Vize also mitten im Wahlkampf zappeln. Hebeins Ankündigung, die Pläne noch vor der Wien-Wahl umzusetzen, wackeln gehörig. Dabei gilt längst als ausgemacht, dass der erste Bezirk weiter verkehrsberuhigt wird. Selbst Wirtschaftskammer und Bezirks-ÖVP sind mit im Boot. Nur: Beim Zeitpunkt und bei den Details reklamiert der Stadtchef die Entscheidungshoheit für sich.

Dass Ludwig und Hebein zuletzt mehrmals aufeinandergekracht sind, ist auffällig. Beim 40 Millionen Euro teuren Gastrogutschein blieben die Grünen außen vor und wurden erst kurzfristig informiert. Den präsentierte Ludwig mit Wiens Wirtschaftskammer-Chef Walter Ruck. Letzterer gilt eher als schwarz denn als türkis, Ruck wird ein ausgezeichnetes Vertrauensverhältnis zu Ludwig nachgesagt.

Pop-up-Radwege werden verlängert

Dafür machte Hebein einen Alleingang bei den Pop-up-Radwegen. Drei dieser Radwege werden bis November verlängert, wie am Mittwoch bekanntgegeben wurde. Als Reaktion auf den Gastro-Bon kündigte Hebein im Juni an, dass junge Wiener einen 25-Euro-Bon für Handwerksbetriebe im eigenen Bezirk erhalten sollen. Seither herrscht Stille um diese mit zehn Millionen Euro umrissene "Reparatur-Marie". Vor der Wahl wird das nichts mehr, bestätigt das Büro Hebein. Stattdessen verwies Stadträtin Ulli Sima auf einen ähnlichen Vorstoß der SPÖ, der Ende September umgesetzt werde. Bis zu 100 Euro pro Reparatur sollen gefördert werden.

Dazu kommt, dass die Grünen bei einem weiteren Verkehrsthema, den Citybikes, von der SPÖ rechts überholt wurden. Hebein schaffte mit dem privaten Werbeunternehmen Gewista, das mehr Geld verlangte, keine Einigung – und wollte das Radverleih-System neu ausschreiben. Daraufhin sperrte die Gewista die Hälfte der innenstadtnahen Stationen zu. Ludwig übernahm das Thema, gab via Wiener Linien erst recht wieder der mit ausgezeichneten Kontakten zur SPÖ ausgestatteten Gewista vorübergehend bis 2022 den Auftrag – und kündigte ebenfalls eine Ausschreibung an.

Konturen werden geschärft

Der Knatsch zwischen Ludwig und Hebein, zwischen SPÖ und Grünen führt aber auch dazu, dass die eigenen Konturen geschärft werden. Denn beide Parteien fischen vielfach in einem ähnlichen Wählerpool und sind auf die Mobilisierung ihrer Wählerschaft angewiesen. Dass der Theaterdonner im Wahlkampf eine Fortsetzung von Rot-Grün verunmöglicht, glaubt hinter vorgehaltener Hand keiner der Spitzenfunktionäre, mit denen DER STANDARD gesprochen hat.

Denn in großen Sozialfragen oder den Themen Klimaschutz, Mindestsicherung und Bildung tun sich zwischen Rot und Grün keine Gräben auf. Es hakt oft an Details oder an der Geschwindigkeit – etwa bei der verkehrsberuhigten City. Und der persönliche Umgang sowie die Kommunikation war zwischen Michael Häupl und Maria Vassilakou vertrauensvoller als zwischen Ludwig und Hebein. Die Handschlagqualität, die Häupl an Vassilakou auch öffentlich schätzte, ist zwischen den neuen Spitzenkandidaten noch nicht in dem Ausmaß gegeben. Aber daran könnten auch die Corona-Maßnahmen Mitschuld tragen.

Ruck bleibt in der Wirtschaftskammer

Ludwig, dessen Wahlsieg mit Umfrageergebnissen um knapp 40 Prozent nicht infrage gestellt wird, ist in der bequemen Position, sich nach dem 11. Oktober seinen Koalitionspartner aussuchen zu können. Dieser heißt wohl entweder Grüne oder ÖVP. Ein Bündnis mit den Türkisen hätte den Vorteil, dass die Angriffe des Bundes auf Wien nicht mehr in dem Ausmaß fortgesetzt werden könnten. Doch auch die Wiener ÖVP fordert mit Spitzenkandidat und Finanzminister Gernot Blümel eine Mitte-rechts-Politik ein und kritisiert Parallelgesellschaften, das Wiener Modell der Mindestsicherung sowie Wien als "Sozialmagnet Österreichs".

Mit Wirtschaftskammer-Chef Ruck, wie Ludwig Verfechter der Sozialpartnerschaft, würde sich der Stadtchef um einiges leichter als mit Blümel tun. Doch Ruck winkt ab: Er habe "keinen Wechsel in die Stadtpolitik angedacht", sagt er dem STANDARD. Das "gilt auch für die Zeit nach dem 11. Oktober". (David Krutzler, 3.9.2020)