Hans Joachim Schellnhuber erklärt beim Forum Alpbach, warum er kaum Hoffnung hat, dass die Klimakrise gelöst wird, und wieso er dennoch weitermacht.

STANDARD: Klimaextremist, linksgrüner Spinner, Alarmist – im Internet sind wüste Beschimpfungen in Bezug auf Sie zu finden. Warum stoßen Klimaforscher auf so viel Unmut?

Schellnhuber: Das hat damit zu tun, dass jeder beim Thema Klima eine Meinung hat. Das ist ein Thema, das so breitenfähig ist wie sonst nur der Fußball. Wir sehen das mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Schwieriger ist es mit jenen, die sich in ihrer Identität zutiefst bedroht fühlen. Wie die, die mit dem SUV durch die Gegend fahren, und jeder, der eine Ölheizung hat. Sie sehen unsere Forschungsergebnisse als riesige Kränkung. Sie fühlen sich beaufsichtigt, bedroht, erniedrigt.

STANDARD: Klimaschutz wird für viele mit Verzicht oder Verboten gleichgesetzt. Wie kann der Diskurs verändert werden?

Schellnhuber: Meine Kollegen aus der Ökonomie versuchen seit langem klarzustellen, dass Klimaschutz in einer Kosten-Nutzung-Rechnung am Schluss immer eine positive Bilanz hat. Wenn man langfristige Klimaschäden in eine Volkswirtschaft miteinrechnen würde, dann ist es hundert Mal billiger, Klimaschutz zu betreiben, als sich einfach anzupassen. Menschen sind so eingestellt, dass sie den kurzfristigen Nutzen suchen, der unmittelbar da ist. Ökonomische Argumente greifen nur bei einer Minderheit. Wichtiger ist also, ein besseres Narrativ anzubieten.

Klimaforscher Schellnhuber plädiert zur Lösung der Klimakrise für einen Generationenvertrag der anderen Art.
Foto: EPA

STANDARD: Welches?

Schellnhuber: Eines, das auf langfristiges Gleichgewicht und soziale Gerechtigkeit setzt. Das fossile Geschäft verhilft eher wenigen zu großem Reichtum, die anderen bleiben zurück. Außerdem muss man an die gute Seite im Menschen appellieren – nämlich die Verantwortung für andere, vor allen auch für die eigenen Nachkommen. Denn wir müssen die drohende Vernichtung unserer Zivilisation und unseres Planeten abwenden.

STANDARD: Sie schlagen einen Generationenvertrag vor. Was ist damit gemeint?

Schellnhuber: Früher haben Eltern zu ihren Kindern gesagt, dass diese es einmal besser haben sollen. Jetzt haben wir plötzlich eine Generation, um die 50, 60 Jahre, die meint, die künftigen Generationen sollen selbst sehen, wie sie zurechtkommen. Jetzt sagen die jungen Leute: Wenn ihr auf unsere Kosten die Zukunft verheizt, wieso soll ich dann eure Rente für später zahlen? Die Corona-Krise hat das in ein neues Licht gerückt. Wir haben ein Virus, das ironischerweise – so schlimm das Ganze ist – vor allem alte Männer gefährdet. Genau diejenigen, die sich bisher für eher unverwundbar hielten. Die Älteren fordern gerade ein, dass sie geschützt werden müssen – obwohl die Jungen selbst relativ ungeschoren davonkommen.

STANDARD: Was wäre die Lösung?

Schellnhuber: Ein Klima-Corona-Kontrakt. Die Jungen sagen, sie halten still und verzichten zum Schutz der Älteren auf einen Teil ihrer sozialen Interaktionen. Dafür soll sich die ältere Generation in ihren Konsumeigenschaften so einschränken, dass die nächste Generation die Chance auf ein gutes Leben hat. Es wäre sehr ungerecht und ungerechtfertigt, einfach zu sagen, schaut doch selbst, wie ihr zurechtkommt.

Schellnhuber auf einer Panel-Diskussion beim Forum Alpbach.
Foto: APA/BARBARA GINDL

STANDARD: Viele Politiker ziehen derzeit Parallelen zwischen der Corona- und der Klimakrise. Können Sie dem etwas abgewinnen?

Schellnhuber: Wir haben eine Herausforderung, die man nicht wegideologisieren kann – auch wenn manche versuchen, das zu tun. Bei der Klimakrise ist das ähnlich. Es ist aber schwieriger, weil die Folgen sehr, sehr indirekt sind. Wenn ich heute in ein Dieselfahrzeug steige, wird das vielleicht dazu beitragen, dass in 20 Jahren ein Wirbelsturm die Philippinen verwüstet. Aber eine solche Verbindung herzustellen ist sehr komplex. Bei Covid-19 ist das unmittelbarer. Bei beiden zählt: Wenn man den Zeitraum der Intervention verpasst, läuft das System exponentiell weg.

STANDARD: Dennoch wird die Wissenschaft in der Klima- und der Corona-Krise unterschiedlich ernst genommen.

Schellnhuber: Die Klimafolgen stehen räumlich-zeitlich nie in einem direkten Zusammenhang mit den Ursachen. Wenn ich auf eine Party gehe, einem Superspreader begegne, dann meine Oma anstecke und sie verstirbt, dann weiß ich, dass ich einen schweren Fehler gemacht habe. Wenn ich mir hingegen einen SUV kaufe und damit herumfahre, werde ich dafür nie zur Rechenschaft gezogen werden. Da wirken viele andere Autofahrer mit. Es ist ein gemeinschaftlicher Raubbau an diesem Planeten. Außerdem hat das Virus keine Lobby, das fossile Wirtschaften leider schon.

STANDARD: Die EU soll bis 2050 klimaneutral werden, Österreich schon bis 2040. Was ist dafür konkret notwendig?

Schellnhuber: Europa sollte eigentlich schon 2040 klimaneutral werden. Machbar ist das allemal. Wir haben einen Fahrplan, den wir Sektor für Sektor durchgearbeitet haben. Bei der Stromerzeugung sind wir über dem Kipppunkt, der Kohleausstieg ist in vielen europäischen Ländern beschlossen. Darüber hinaus muss die E-Mobilität gewinnen. Schwieriger ist es bei der Schwerindustrie, extremen Nachholbedarf haben wir bei der Landwirtschaft, der Wärmewende und im Bausektor.

STANDARD: Was halten Sie vom Green Deal?

Schellnhuber: Die Verpackung ist ziemlich gut, es sind alle richtigen Worte da. Darunter kommt ein Sammelsurium an Dingen, die man eigentlich schon hat. Der Unterboden hat bei weitem nicht die Konkretheit, die notwendig ist. Insbesondere würde ich mir ein Dutzend innovativer Leuchtturmprojekte wünschen. Ich finde es aber schon einmal gut, dass jemand ein Versprechen macht, dann kann man daran erinnern. Wir müssen beobachten, ob es bei schönen Worten bleibt, oder Taten folgen.

STANDARD: Ursula von der Leyen schlägt einen EU-Klimazoll vor. Wäre das sinnvoll?

Schellnhuber: Da bin ich eher skeptisch. Das ist für mich fast Symbolpolitik. Bis man den hinbekommt, wird es sehr lange dauern. Der Zoll kann ohnehin nur politisch durchgesetzt werden, wenn er stark verwässert wird. Ich halte die Wirkung für relativ gering. Das angebliche Abwandern der Industrie hat aus Sicht meiner Ökonomiekollegen eher einen marginalen Effekt.

STANDARD: Gibt es für Klimaforscher noch Grund für Optimismus?

Schellnhuber: Ich habe persönlich nur wenig Hoffnung, dass wir die Klimakrise komplett meistern können. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir die Zwei-Grad-Linie erreichen, liegt bei vielleicht zehn Prozent. Vor 30 Jahren lag sie noch bei deutlich über 50 Prozent. Eine Erwärmung von nur 1,5 Grad Celsius ist eher außer Reichweite. Ich mache trotzdem weiter, weniger aus Hoffnung, sondern vor allem aus Pflichtbewusstsein – denn wenn es um alles geht, um die "Rettung der Welt", sind zehn Prozent keine Chance, die man ausschlagen darf. (Nora Laufer, 3.9.2020)