Im Wahlkampf inszeniert sich der Präsident als Beschützer der Nation vor dem Chaos – und posiert dabei vor ausgebrannten Häusern.

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Kaum zurückgekehrt aus Kenosha, der in die Schlagzeilen geratenen Stadt im Südostzipfel Wisconsins, legte Donald Trump auch schon mit einem Tweet nach. Joe Biden, schrieb er am Mittwoch, ohne Anhaltspunkte zu nennen, stehe nicht auf der Seite der Polizisten. Er dagegen habe das Problem schnell gelöst, was die Menschen in Wisconsin zu schätzen wüssten. "Joe Biden wüsste nicht mal, wo er anfangen müsste."

In Kenosha, wo ein weißer Polizist den Afroamerikaner Jacob Blake durch sieben Schüsse in den Rücken schwer verletzte, hat der Präsident am Dienstag vorexerziert, wie er sich einen Wahlkampf vorstellt, der nach seinem Willen ganz im Zeichen von Recht und Ordnung stehen soll. Ein Treffen mit der Familie des 29-Jährigen lehnte er ab. Die habe nur im Beisein von Anwälten mit ihm reden wollen, begründete er die Absage.

Über Blake, dessen drei Söhne von der Rückbank seines Autos mit ansehen mussten, wie ihr von Kugeln getroffener Vater zusammenbrach, sagte er nur das Allernötigste: Er fühle mit jedem, der so etwas durchmachen müsse. Umso mehr Zeit verwandte er darauf, die Polizei in Schutz zu nehmen.

Die Beamten, so Trump bei einem Round-Table-Gespräch, hätten einen schweren Job zu erledigen. Unter dem Druck, der mit der Erfüllung ihrer Aufgaben einhergehe, manchmal in einer Viertelsekunde entscheiden zu müssen, versagten eben bisweilen die Nerven, wiederholte er, was er bereits einem Fernsehsender gesagt hatte. In einem Interview mit Fox News verglich er Polizisten, die womöglich unbedacht die Waffe ziehen, mit Golfspielern, denen drei Fuß vor dem Loch, in dem sie den Ball versenken müssen, die Nerven einen Streich spielen. Seine Botschaft an die Polizisten sei folgende: "Die Menschen in unserem Land lieben euch."

Medienschelte als Reaktion

Bei den Ausschreitungen, betonte er in Kenosha zu Bildern ausgebrannter Läden, handle es sich um inländischen Terrorismus. Die Reporterfrage, ob nicht systemischer Rassismus ein Problem in den USA sei, beantwortete er, wie so oft, mit Medienschelte. Man habe es mit Plünderern, Randalierern, Aufwieglern zu tun, "und das ist es, worauf Sie sich in Ihrer Frage konzentrieren sollten".

Über Kyle Rittenhouse, einen 17-Jährigen, der zwei Protestierende tötete und einen weiteren verletzte, verlor er kein Wort. Bewaffnet mit einem Sturmgewehr, war der Teenager aus dem Nachbarstaat Illinois nach Wisconsin gefahren, um – nach seinen Worten – Geschäfte vor Plünderern zu schützen. Trump hatte ihn zu Wochenbeginn verteidigt, indem er dem Teenager bescheinigte, in Notwehr gehandelt haben.

Statt zum Feuerlöscher zu greifen, gieße er Öl ins Feuer, kommentiert die Opposition. Gerade mit Blick auf die Causa Rittenhouse hätte er klare Worte finden müssen – zu provozierenden Privatmilizen, zur Gefahr einer bürgerkriegsähnlichen Eskalation. "Wir brauchen einen Präsidenten, der die Temperatur senkt", twitterte Biden.

Dass der Amtsinhaber keine Hemmungen kennt, um sein Law-and-order-Motiv kontrastreich auszumalen, hat er rund um den Trip nach Kenosha einmal mehr bewiesen. Es beginnt beim Lokalen. Ein zorniger Mob, streute er ein Gerücht, habe versucht, in das Haus John Antaramians, des Bürgermeisters der Stadt, einzudringen. Nichts dergleichen sei geschehen, dementierte Antaramian. Zudem behauptete Trump, dass es heute kein Kenosha mehr gäbe, hätte er nicht darauf bestanden, die Nationalgarde in die Stadt zu schicken. In Wahrheit war es Tony Evers, der demokratische Gouverneur Wisconsins, der die militärischen Einheiten der Garde nach Kenosha entsandte, um die Unruhen in den Griff zu bekommen.

Verschwörungstheorien

Über das Lokale hinaus sorgen weitere abstruse Thesen für anhaltenden Wirbel. In besagtem Interview mit Fox News sprach Trump von Leuten "tief im Schatten", an deren Fäden sein Rivale Biden angeblich tanze – "Leute, von denen Sie noch nie gehört haben".

Dann sprach er von einem Flugzeug voller Anarchisten, die vergangene Woche nach Washington geflogen seien, um den Wahlparteitag der Republikaner zu stören. Man habe jemanden an Bord gehabt, der dies bezeugen könne.

Als Journalisten nachhakten, wich Trump aus. Als Erstes müsse er prüfen, ob diese Person bereit sei, mit den Medien zu reden. (Frank Herrmann aus Washington, 2.9.2020)