Andrea Bamacher inmitten ihrer Pflanzen. Die gebürtige Steirerin und Wahlburgenländerin kennt sich wie kaum eine Zweite mit Hanf aus.

Foto: broboters

Die Zeit des Wartens ist vorbei. Knapp fünf Monate hat es gedauert, bis der Hanf zur Ernte gereift ist. Ein Ungetüm auf Rädern bewegt sich durchs Feld. Der Fahrer thront weit oben in seiner Kabine und lässt den Blick über das Blättermeer schweifen.

Was aussieht wie ein Mähdrescher, ist eine speziell auf Nutzhanf abgestimmte Erntemaschine. So was würde man anderswo vermuten, nicht im Burgenland. Ausgerechnet vor den Toren der Weinbaugemeinde Gols befindet sich eine der größten Hanfplantagen Österreichs. Was Anfang April ausgesät wurde, steht jetzt zur Ernte.

Start mit wenigen Frauen

Andrea Bamacher streicht über die gezackten Blätter, zwickt eines ab, beißt hinein, befindet es für gut. Die gebürtige Steirerin gilt als die Auskennerin in Sachen Hanf, nicht nur in Österreich – europaweit. "Ich hatte in meiner Kindheit früh Kontakt mit Kräutern im Garten, habe das geliebt, und es hat mich nicht mehr losgelassen", sagt sie.

Bamacher, die eine Zeitlang als Segellehrerin am Neusiedler See gearbeitet hat, ist über einen früheren Arbeitskollegen auf Hanf aufmerksam geworden. Nach intensiver Beschäftigung mit der 4000 Jahre alten Kulturpflanze und diversen Versuchen, damit Geld zu verdienen – Rückschläge inklusive – gründete Bamacher 2015 Deep Nature Project in Gols. Gestartet hatte sie mit einer Handvoll Frauen – inzwischen arbeiten fast 70 Personen im Betrieb. Das war zumindest vor Corona so. Immer noch sind mehrheitlich Frauen in der Hanfverarbeitung beschäftigt, einige befinden sich seit Sommer im Homeoffice.

In der Verarbeitung und Konfektionierung der Hanfprodukte bei Deep Nature in Gols sind überwiegend Frauen beschäftigt.
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"Unsere Vision war und ist, nachhaltige, natürliche Produkte zu entwickeln, die für die Gesundheit förderlich sind", sagt Bamacher. "Wir sind auf der ganzen Linie biozertifiziert, als erstes Unternehmen in Europa, wahrscheinlich weltweit."

Das Bemühen, insbesondere alleinerziehenden Müttern mit Kindern arbeitszeitlich entgegenzukommen, hat auch gefruchtet. Im Frühjahr wurde Deep Nature als familienfreundlichstes mittelständisches Unternehmen im Burgenland ausgezeichnet.

Psychoaktiver Wirkstoff herausgezüchtet

Aus den Nutzhanfsorten, die für die Herstellung von Lebens- und Nahrungsergänzungsmittel verwendet werden, ist der psychoaktive Wirkstoff THC herausgezüchtet worden. Der zentrale Inhaltsstoff, um den es Bamacher geht, ist Cannabidiol (CBD). Das ist eine Substanz aus der Klasse der Cannabinoide. Davon sind bisher rund 140 erforscht. Diese wertvollen Substanzen befinden sich auf den Blättern.

"Im ersten Jahr haben wir gezittert, ob wir die Ernte überhaupt einbringen können," erinnert sich Bamacher. "Der erste Bauer ist reingefahren ins Feld. Kurze Zeit später war die Maschine kaputt. Der nächste kam keine zehn Meter weit. Dann haben wir händisch geerntet."

80 Prozent der Produkte gehen in den Export.
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Inzwischen hat man dazugelernt und weiß besser, wie man den zähfaserigen Hanf mähen muss, ohne dass die Erntemaschine zu rauchen beginnt oder gar Feuer fängt, weil sich Fasern in den drehenden Teilen verfangen.

"Wir kennen jeden Bauern persönlich, der für uns Hanf anbaut," sagt Stephan Dorfmeister, Co-Gründer von Deep Nature und für die Finanzen des Unternehmens zuständig. Neben Bauern im Burgenland und im Waldviertel habe man auch welche in Deutschland und Kroatien unter Vertrag.

Auch Hanfstroh wird verwertet

Das obere Drittel der Hanfpflanze wird maschinell abrasiert. Die Blätter landen über ein Förderband in einem Behälter. Für die Ernte des Hanfstrohs eignet sich der Balkenmäher mit frisch geschliffenen Doppelmessern am besten. "Hanfstroh, sagt Bamacher, "ist kein Abfall, sondern ein wertvoller Rohstoff." Er wird für Kleidung, Seile, Papier, aber auch für staubfreie Tiereinstreu, etwas für Pferde, verwendet. Oder man lässt das Stroh zu Dämm- und Bauplatten verarbeiten.

Trocknen lässt Deep Nature die Blätter bei einem Partner in Podersdorf. Gemeinsam habe man ein möglichst schonendes Verfahren entwickelt. Dorfmeister: "Es geht uns darum, in jeder Verarbeitungsstufe möglichst wenig von diesen wertvollen Substanzen zu verlieren".

In den Fläschchen wird Hanföl abgefüllt.
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Die Veredelung findet in Gols in einer ehemaligen Zielpunkt-Filiale statt. Hier wird aus der pastenartigen Masse Hanföl herausgeholt, großteils automatisiert. Als Abfallprodukt der Samenpressung werden Proteine herausgeholt und weiterverarbeitet, viele andere Mischungen für Mensch und Tierentstehen hier unter fast klinischen Bedingungen. Hygieneschleusen gibt es nicht erst seit Corona. "Wir sind lebensmittelzertifiziert und werden streng geprüft", sagt Bamacher.

Sorgen bereitet der Hanfpionierin ein Vorstoß der EU-Kommission, der auf eine Kriminalisierung von CBD-Produkten hinauslaufen könnte. Sie vermutet die Pharmalobby dahinter, die den lukrativen Markt für sich vereinnahmen möchte.

(Günther Strobl, 3.9.2020)