Europaministerin Karoline Edtstadler.

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Nach der erneuten Verschärfung der Grenzkontrollen zu Österreich durch die ungarische Regierung im Zuge der Corona-Bekämpfung ab 1. September trat auch das Problem in den Vordergrund, wie die EU und deren Mitgliedsstaaten mit Ungarn wegen der Verletzung des Prinzips der Rechtsstaatlichkeit umgehen sollen. Beim Forum Alpbach kam es zu einer sehr kontroversiellen Debatte zwischen Europa- und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler und der ungarischen Justizministerin Judith Varga.

Thema im Forum war, ob und wie die EU sich reformieren bzw. vertiefen solle und ob es dabei in Richtung einer "Finalität" zu einer politischen Union gehen solle. Varga nützte das zur Frontalattacke gegen das Europäische Parlament, das ein EU-Verfahren nach Artikel 7 der Verträge gegen Ungarn startete. Es könnte am Ende zum Entzug der Stimmrechte in EU-Gremien führen, scheint aber blockiert.

Budapest gibt sich standhaft

Die ungarische Ministerin warf den Abgeordneten quasi eine liberale Verschwörung vor. Ihre Regierung vertrete eigentlich die wahre "proeuropäische Linie", behauptete sie. Budapest werde sich nie in die Knie zwingen lassen. Edtstadler agierte auf der Alpbacher Bühne sachlich zurückhaltend, beharrte darauf, dass man die Vergabe von EU-Mitteln in Zukunft sehr wohl an die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit knüpfen müsse. Beim Artikel-7-Verfahren müsse man im Dialog eine Lösung finden.

Im Interview mit dem STANDARD erklärte sie am Mittwoch, dass sie die Emotionen Vargas verstehen könne, der direkte persönliche Kontakt sei intakt, wenn es darum gehe, Lösungen für konkrete Probleme wie beim Grenzregime zu finden – wie schon im Frühjahr für Pflegekräfte, die nach Österreich kommen.

Nicht zuletzt deshalb hält die Europaministerin nichts davon, wenn man die ungarische Regierung "noch weiter ins Eck drängt", auch wenn diese "überschießend" reagiere: "Es ist wichtiger, dass wir weiter ehrliche Gespräche führen. Wir brauchen mit dem Nachbarland gute Zusammenarbeit." Die Konflikte ließen sich nur realpolitisch, auf sachlicher Ebene lösen, glaubt Edtstadler, beim EU-Verfahren komme man kaum weiter. Sie hoffe, dass das im Herbst unter deutschem EU-Vorsitz ein Thema wird.

"Ungarn will nicht aus EU ausscheren"

Dass die Regierung von Viktor Orbán bei der Konferenz zur Zukunft Europas, die zu einer Reform der EU-Verträge führen soll, quertreiben, Beschlüsse per Veto verhindern könnte, davon geht sie nicht aus: "Ich habe nicht den Eindruck, dass Ungarn aus der EU ausscheren will. Es ist bisher immer noch gelungen, Lösungen zu finden", sagt sie, das habe sich zuletzt beim Beschluss des Corona-Hilfsfonds und des EU-Budgetrahmens gezeigt. Österreich werde sich gemäß der bisherigen Linie von Kanzler Kurz bei der Konferenz dafür aussprechen, dass es weiter eine starke Rolle der Mitgliedsstaaten gibt.

Von den Beschlüssen des EU-Gipfels im Juli zum EU-Budgetrahmen, der Priorität für Klimaschutz und Digitalisierung bei EU-Subventionen, zeigt sich die Ministerin angetan. Trotz aller Kritik sei es richtig gewesen, dass Österreich im Rahmen der "Sparsamen Vier" mit den Niederlanden, Schweden und Dänemark eigene Akzente gesetzt habe. Indem auch kleine Staaten Gruppen bildeten, um ihre Interessen zu vertreten, werde es leichter, auf EU-Ebene zu Kompromissen zu kommen: "Das ist ein Erfolg."

Mit den Grünen läuft es

Interpretationen, dass es in der türkis-grünen Regierung ernste Konflikte gebe, weist sie zurück: "Wir sind unterschiedlich große Parteien, aber von der Themenlage her sind wir beide ausgewogen vertreten." Wenn nun auf europäischer Ebene Ökologisierung und Digitalisierung Priorität hätten, "die Mittel in diese Richtung geleitet werden", dann kommt keine Partei heute mehr daran vorbei. Sie gesteht zu, "dass die Grünen das schon lange vertreten". Österreich könne damit ein Vorbild für Europa sein. Sie registriere jedenfalls, "dass man in Deutschland interessiert auf uns schaut, wie das funktioniert". (Thomas Mayer aus Alpbach, 3.9.2020)