Reist man per Schnellbahn an, führt der Weg von der Station Heiligenstadt durch den Karl-Marx-Hof, den längsten zusammenhängenden Gemeindebau der Welt. Es ist nicht das einzige Highlight dieses Grätzels. Hinter dem riesigen Sozialbau steht das einst größte und modernste Fußballstadion Europas – bis heute ist es auf seine Art auch eines der schönsten geblieben. Die Hohe Warte ist seit Ende des 19. Jahrhunderts die Heimstätte des First Vienna Football Club, der erste Fußballverein Österreichs.

Auf der Hohen Warte in Heiligenstadt steht das Naturstadion der Vienna, des ältesten Fußballvereins Wiens.
Foto: imago images / Matthias Koch

"Die Vienna ist quasi die alte Lady und für die Fußballgeschichte im Land eine wichtige Institution", sagt Nina Burger zum STANDARD. Die 32-Jährige ist seit Juni sportliche Leiterin der Frauensektion bei den Döblingern, die fünf Teams umfasst. "Es ist einfach ein schöner Fleck", sagt Burger über die Naturarena Hohe Warte. "Die Geschichte fühlst du an dem Ort überall."

Jubiläum steht bevor

Der Hügel im Nordwesten Wiens ist der östlichste Ausläufer des Wienerwalds. Man sagt daher, die Hohe Warte sei der Ort, an dem die Alpen enden. Dort lebte einst Baron Nathaniel Rothschild, der mehrere Gärtner zu seinen Bediensteten zählte. Einer kam aus England, er soll einer Handvoll Österreichern die Regeln des Fußballs erklärt haben. Das Spiel stieß auf Begeisterung, im Jahr 1894 gründeten sie die Vienna, um offizielle Matches auszutragen.

Das erste fand auf einer Wiese im Garten des Barons statt, sie war nach Abpfiff derart demoliert, dass Rothschild das Fußballspielen dort umgehend verbot. Er finanzierte stattdessen den Spielbetrieb auf einem Rasen auf dem Gebiet des heutigen Heiligenstädter Parks. Seit ihrer Gründung verließ die Vienna nie das Areal der Hohen Warte. Im Jahr 2021 feiert der Verein das 100-jährige Bestehen der Naturarena.

"Neben der Geschichte ist es die Kulisse, die für mich das Stadion einmalig macht", sagt Burger. Das Spielfeld ist an drei Seiten umgeben von Wiesenhängen, hinter der Anhöhe auf der Längsseite liegen die ZAMG und das Döblinger Bad. Burger war es ein großes Anliegen, Spiele des Frauenteams im Naturstadion austragen. So belohne sie ihre Spielerinnen gewissermaßen für ihre Leistungen.

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Nina Burger bei ihrem 109. und letzten Auftritt im ÖFB-Nationalteam.
Foto: REUTERS

Elefanten auf dem Fußballplatz

In den 1920er- und 1930er-Jahren strömten bis zu 80.000 Menschen in die Arena. Sie feuerten das "Wunderteam" an, wie das Männer-Nationalteam wegen der Siege über Spitzenmannschaften genannt wurde. Das Stadion war zudem Schauplatz für Opernaufführungen, sogar Elefanten und Kamele sollen bei den Vorstellungen aufgetreten sein.

Mit der Zeit verflog die Magie des Spielortes, die Hohe Warte brachten Menschen zunehmend mit Wettervorhersagen in Verbindung. 1989 gründete die Vienna als erster Bundesligaverein ein Frauenteam. Acht Jahre später wurde es aufgelöst, seit 2011 betreibt der Verein wieder Mädchen- und Frauenfußball – im Gegensatz zu anderen österreichischen Großklubs wie Rapid oder Red Bull Salzburg.

"Die Philosophie des Vereins ist es, eine der Adressen für junge Talente zu werden", sagt Burger über die Bedeutung der Vienna. "Das ist noch ein längerer Weg, aber am Ende wird auch die Region Wien und Umland davon profitieren."

Kinder motiviert, Eltern auch?

Österreichs Rekord-Nationalspielerin packt selbst an, damit das gelingt. Sie organisiert Trainings an Schulen, um mehr Mädchen für den Sport zu begeistern. Ende August fand eine erste Talentesichtung statt, drei Mädchen schafften den Sprung in den Vienna-Nachwuchs. Am 18. September folgt das nächste Probetraining.

"Solche Aktionen gehören forciert, um den Mädels Fußball schmackhaft zu machen", sagt Burger. Auch bei Sportfesten wolle sie aktiv werden. Dort soll die vermeintlich größte Hürde genommen werden: "Wichtig ist es, die Erziehungsberechtigten zu erreichen. Ohne sie kommen Mädchen erst gar nicht zum Verein. Aus Erfahrung weiß ich, dass Kinder schnell begeistert sind. Das motiviert mich." Neben der fußballerischen Ausbildung sei Burger "die Weiterentwicklung der sozialen Werte" wichtig.

Sollte im Team der Vienna Not an der Frau herrschen, könnte Burger sogar noch einmal selbst ihre Schuhe schnüren. Die 2. Bundesliga wurde in der vergangenen Saison wegen Corona abgebrochen, die Vienna lag bis dahin auf Aufstiegskurs. Dieser soll in der nächsten Saison klappen.

Burger ist zuversichtlich, dass der Ligabetrieb trotz Pandemie durchgeführt werden kann. "Wichtig ist, dass jeder seinen Beitrag leistet und wir gemeinsam gut durch diese spezielle Zeit kommen", sagt sie. Corona-Tests der Spielerinnen sind nicht vorgesehen, die zweite Frauen-Bundesliga hat den Status einer Amateurliga. Noch, betont Burger. Für die meisten Vereine wären die Tests auch nicht finanzierbar. Die Meisterschaft beginnt kommendes Wochenende. (Lukas Zahrer, 3.9.2020)