Setzt man sich politisch für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen ein, wird einem oft vorgeworfen, immer nur gegen alles zu sein: gegen neue Autobahnen und Kraftwerke, gegen den Einsatz von Pestiziden und Atomenergie. Ja, oft gehen sogar dieselben Menschen am einen Tag gegen die Verursacher der Klimakrise auf die Straße, um am nächsten gegen Elektroautos als das Allheilmittel der Verkehrswende zu protestieren. Stattdessen sollten sich die Aktivistinnen und Aktivisten viel lieber für etwas einsetzen, so die Kritiker. Doch damit liegen sie falsch. Widerstand zu leisten und gegen Missstände zu protestieren, ist nicht nur die wichtigste Aufgabe der Klimabewegung, sondern auch aus strategischer Sicht das effektivste, oft sogar das einzige Mittel. Das liegt daran, wie unser Wirtschaftssystem, Medien und Politik funktionieren, aber auch an einem Grundprinzip vieler progressiver Bewegungen: der Forderung nach umfassender demokratischer Mitbestimmung.

Widerstand kann auch kreativ sein.
Foto: Jana Sabo/System Change, CC BY-SA 2.0

Widerstand als Tor zum Diskurs

Zuerst zum Politischen. Sieht man von Greta Thunberg und einigen weiteren bekannten Gesichtern der Klimabewegung ab, haben es Gruppen und NGOs meist sehr schwer, ihren Anliegen gesellschaftlich Gehör zu verschaffen. Im Gegensatz zu den Konzernen, welche klimaschädliche Projekte vorantreiben, verfügen sie kaum über Ressourcen, um sich öffentlich und bei Entscheidungsträgerinnen Gehör zu verschaffen. Einfach ausgedrückt: Während der Ölkonzern ganze Werbeagenturen und Armeen von Lobbyisten beschäftigt, arbeiten bei der lokalen Klimagerechtigkeitsgruppe eine Handvoll Menschen neben Lohnarbeit und Studium am Facebook-Auftritt, Presseaussendungen und Forderungspapieren. Und egal wie gut diese ausgearbeitet sind: Medien und Politik interessieren sich meist kaum für Konzepte zu autofreien Städten, Energiedemokratie und einer Reduktion des Flugverkehrs

Eigene Themen auf die gesellschaftliche Agenda bringen können ohne die Mobilisierung vieler Menschen – wenn überhaupt – nur große Organisationen wie Greenpeace oder der WWF. Was dagegen leichter funktioniert, ist Kritik an großen Plänen, wie etwa Bauprojekten, auch weil über diese in der Regel ohnehin schon medial berichtet wird. Wenn beispielsweise über die geplante Erweiterung eines Flughafens berichtet wird, ist es nicht nur eine wichtige Aufgabe für Umweltorganisationen, die Pläne im Rahmen der offiziellen Verfahren genau zu prüfen und negative Umweltauswirkungen aufzuzeigen. Gleichzeitig mit dem Protest gegen ein solches Projekt können auch eigene Alternativen präsentiert werden, die so eine weit größere Chance auf Eingang in den öffentlichen Diskurs haben.

Widerstand gegen ein System, das den Planeten auffrisst

Mehr als die Hälfte alle CO2-Emissionen seit Beginn der Industrialisierung wurden seit 1990 ausgestoßen, dem Jahr, in dem der erste Sachstandsbericht des Weltklimarates IPCC erschien. Dass die klimaschädlichen Emissionen in jüngerer Vergangenheit schneller denn je stiegen, ist also nicht mangelndem Wissen oder fehlenden Alternativen geschuldet. Es liegt vor allem am Wachstumszwang, der dem kapitalistischen Wirtschaftssystem tief eingeschrieben ist. Die vom Kapital verlangte stetige Ausdehnung der Wirtschaft zeigt sich ganz konkret in mehr Kraftwerken, mehr Straßen und mehr Flughäfen. Dabei ist klar: Global gesehen graben wir uns unsere Lebensgrundlagen schneller ab, als sich diese regenerieren können, Länder wie Österreich verbrauchen ein Vielfaches der ihnen zustehenden nachhaltigen Ressourcenmenge. Wenn sich also eine Klimagruppe gegen den Ausbau des Wiener Flughafens einsetzt, dann leistet sie auch Widerstand gegen ein System, das unseren Planeten auffrisst. Und die wenigsten wollen sich wohl ein Österreich vorstellen, in dem es keinen solchen Widerstand gibt: Wie würde das Land aussehen, wenn in den letzten Jahren alle großen und kleinen Bauprojekte, von Hainburg und Zwentendorf abwärts, umgesetzt worden wären?

Auch von wohlwollender Seite kommt oft Unverständnis, wenn vermeintlichen Lösungen für Umweltprobleme kritisiert werden, zum Beispiel neue Wasserkraftwerke, Elektroautos oder Glyphosat. Letzteres zum Beispiel sei schließlich das geringere Übel im Vergleich mit anderen Mitteln. Aber auch wenn manche von der Industrie angebotenen Alternativen zu Glyphosat noch schädlicher sind – die Kritik daran ist weder Selbstzweck noch Unwissenheit. Vielmehr steht Glyphosat für das System der industrialisierten Landwirtschaft, das der Erde mehr raubt als es ihr zurückgibt und deswegen langfristig keine Zukunft hat. Das Unkrautvernichtungsmittel ist ökologisch schädlich, durch langjährige Debatten mittlerweile aber auch ein Symbol. Und solche Symbole braucht es, um Menschen die Schwachstellen des Gesamtsystems zu vermitteln. 

Widerstand als Basis für echte Demokratie

Manchen kann man es nicht recht machen, wenn man sich für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen einsetzt. Präsentieren Umweltorganisationen oder Wissenschafterinnen und Wissenschafter etwa Vorschläge für einen klimagerechten Umbau der Wirtschaft inklusive der nötigen Reduktion von Flügen, Fleisch und SUVs, würden sie anderen Verzicht aufzwingen wollen und werden nicht selten beschimpft. Wenn dagegen Aktivistinnen und Aktivisten lediglich auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur ökologischen Krise hinweisen, ohne selbst etwas vorzuschlagen, hätten sie selbst kein Lösungskonzept. Dabei ist es weder die Aufgabe der Klimabewegung, konkrete Konzepte vorzuschlagen, noch will sie diese von oben herab umsetzen – im Gegenteil.

Ein Grundprinzip der allermeisten Gruppierungen ist die Demokratie, und zwar in einer Form, die meist deutlich weiter geht als heute in Österreich gelebt wird. Was gefordert wird, ist nicht nur die längst überfällige Umsetzung von Verpflichtungen wie dem Paris-Abkommen. Schließlich unterstützt eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung starke Maßnahmen gegen die Klimakrise, wie Umfragen immer wieder zeigen. Große Teile der Klimabewegung gehen noch viel weiter und fordern eine umfassende Demokratisierung von internationalen Organisationen, eine Einschränkung von schädlichem Lobbying und andere Schritte bis hin zur Einrichtung von Bürgerräten, die über Klimaschutz-Maßnahmen entscheiden sollen. Diese Forderung wird am prominentesten von Extinction Rebellion vertreten und wurde dieses Jahr in Frankreich umgesetzt. Dabei hat sich gezeigt: Gibt man einer gesellschaftlich repräsentativ ausgewählten Gruppe von Menschen genug Zeit und Informationen über die Klimakrise, stellt sie ein Programm zusammen, das auch aus der Feder von vermeintlich radikalen Klimaaktivistinnen stammen könnte. Unter den 149 Vorschlägen des französischen Rates sind unter anderem ein Tempolimit auf Autobahnen von 110 km/h, ein Verbot von Inlandsflügen und Ökosteuern.

Widerstand, Kritik und das Aufzeigen von Missständen schaffen erst die Basis für echte Fortschritte im Kampf gegen die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen. Probleme müssen benannt werden, bevor man über Lösungen nachdenken kann, Alternativen inklusive ihrer Nachteile thematisiert, bevor die Bevölkerung darüber entscheiden kann. Schließlich ist das Ziel nicht ein Weiter wie bisher, nur mit etwas weniger schädlichen Mitteln, sondern der Umstieg auf eine Wirtschaftsweise, die der Erde nicht mehr nimmt als sie langfristig geben kann. (Manuel Grebenjak, 7.9.2020)

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