Auch Kinder in wohlhabenden Ländern sind aufgrund der Pandemie stärker armutsgefährdet.

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Suizidversuche, mentale Probleme, Übergewicht, aber auch unzureichende schulische Kenntnisse kennzeichnen laut dem UNO-Kinderhilfswerk (Unicef) das Aufwachsen vieler Kindern in wohlhabenden Industrieländern. Das zeigt ein am Donnerstag veröffentlichter Bericht, der Daten aus 41 Ländern vergleicht. Österreich liegt mit Rang 16 im Mittelfeld. Das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) warnte zudem, dass Corona die Zukunftschancen von Millionen minderjährigen Flüchtlingen gefährde.

Die Niederlande, Dänemark und Norwegen belegen in Bezug auf das Wohlergehen von Kindern die ersten drei Plätze. In den meisten untersuchten Ländern geben weniger als 80 Prozent der 15-jährigen Mädchen und Buben an, zufrieden mit ihrem Leben zu sein. In der Türkei ist der Anteil mit 53 Prozent am niedrigsten, gefolgt von Japan und Großbritannien. In Österreich haben der Untersuchung zufolge 77 Prozent der Mädchen und Buben eine hohe Lebenszufriedenheit.

Mehr Übergewichtige

Der Anteil der Kinder mit Fettleibigkeit (Adipositas) und Übergewicht ist laut Bericht in den vergangenen Jahren gewachsen. Etwa eines von drei Kindern in den untersuchten Ländern ist entweder adipös oder übergewichtig. Die Raten wachsen besonders stark in Südeuropa. In Österreich liegt der Anteil bei 27 Prozent. In mehr als einem Viertel der reichen Länder liegt die Kindersterblichkeit bei Kindern zwischen fünf und 14 Jahren bei eins pro 1.000. In Österreich ist der Anteil 0,80 pro 1.000.

Ungefähr 40 Prozent aller Kinder in EU- und OECD-Ländern verfügen laut Unicef-Studie mit 15 Jahren nicht über grundlegende Kenntnisse im Lesen und Rechnen. Kinder in Bulgarien, Rumänien und Chile schneiden hier im Vergleich am schlechtesten ab, am besten dagegen jene in Estland, Irland und Finnland.

Unterstützung "erschreckend unzureichend"

"Viele der reichsten Länder der Welt, die eigentlich über genügend Ressourcen verfügen, scheitern, wenn es darum geht, allen Kindern eine gute Kindheit zu ermöglichen", kommentierte Gunilla Olsson, Direktorin des Unicef-Forschungszentrums Innocenti. "Wenn Regierungen nicht schnell und entschlossen handeln und der Schutz von Kindern nicht Teil der Reaktion auf die Covid-19-Pandemie ist, müssen wir mit steigenden Armutsraten, einer Verschlechterung mentaler und physischer Gesundheit sowie einer wachsenden Kluft bei der Qualifikation von Kindern rechnen", warnte sie. Die Unterstützung von Kindern und ihren Familien während der Covid-19-Pandemie sei "erschreckend unzureichend". Es müsse mehr getan werden, um Kindern eine sichere und gute Kindheit zu ermöglichen.

Bereits vor Ausbruch der Pandemie lag die durchschnittliche relative Armutsrate (60 Prozent des nationalen Medianeinkommens) bei Kindern in EU- und OECD-Ländern bei 20 Prozent. In Österreich lag sie bei 19,2 Prozent. Mit dem erwarteten starken Rückgang der Wirtschaftsleistung in den nächsten zwei Jahren in fast allen untersuchten Ländern wird laut Unicef ohne schnelle Gegenmaßnahmen der Regierungen die Kinderarmut steigen.

Für den Report "Worlds of Influence: Understanding What Shapes Child Well-being in Rich Countries" ("Einflusssphären – was das Wohlergehen von Kindern in reichen Ländern prägt") wurden vergleichbare nationale Daten aus 41 Ländern der OECD und der Europäischen Union zur psychischen und physischen Gesundheit von Kindern sowie zu ihren schulischen und sozialen Kompetenzen und den damit verbundenen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ausgewertet.

Millionen Flüchtlingskinder gefährdet

Die Coronavirus-Pandemie bedroht nach einem Bericht des UNHCR zudem massiv die Zukunftschancen von Millionen minderjährigen Flüchtlingen. Der Ausfall der Schulen und die Not ihrer Familien könnten ihnen den Bildungsweg aus der Armut für immer abschneiden, hieß es am Donnerstag in Genf.

"Nach allem, was sie durchgemacht haben, können wir ihnen jetzt nicht auch noch dadurch, dass sie nicht mehr zur Schule gehen können, die Zukunft rauben", sagte UNHCR-Chef Filippo Grandi. Er appellierte an die Regierungen, Flüchtlinge und Aufnahmeländer stärker zu unterstützen. Das UNHCR stellte die deutsche DAFI-Initiative für Stipendien als gutes Beispiel heraus. Sie hat seit 1992 mehr als 15.500 Geflüchteten ein Studium ermöglicht.

Für 2019 wurden Daten aus zwölf Ländern ausgewertet, die besonders viele geflüchtete Minderjährige und deren Familien aufgenommen haben – darunter Jordanien, Pakistan, die Türkei und Uganda. Dort gingen 77 Prozent der geflüchteten Kinder in die Volksschule und 31 Prozent in eine weiterführende Schule. Das ist laut UNHCR eine leichte Verbesserung. Weil die Erhebungsmethoden geändert wurden, seien direkte Vergleiche zu Vorjahren nicht möglich.

Dem UNHCR zufolge drohen Fortschritte aber zunichtegemacht zu werden. Viele Familien hätten wegen der Corona-Einschränkungen und Wirtschaftseinbrüche ihre Lebensgrundlage verloren. Sie könnten sich Schulmaterial und -uniformen nicht mehr leisten und sähen sich gezwungen, ihre Kinder zur Arbeit anstatt in die Schule zu schicken. Vor allem geflüchtete Mädchen trifft die Situation laut UNHCR hart: Man rechne damit, dass die Hälfte derjenigen, die vor der Coronakrise in einem der betrachteten Länder eine weiterführende Schule besuchten, diese abbrechen müssen. (APA, red, 3.9.2020)