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Donnerstagfrüh stellten die Klubobfrau der Grünen, Sigrid Maurer, Justizministerin Alma Zadić, Verfassungsministerin Karoline Edtstadler und Frauenministerin Susanne Raab das Gesetzespaket gegen Hass im Netz vor.

Foto: AP A

Hasspostings sollen künftig leichter geahndet werden, betroffene User sich rasch, kostengünstig und niederschwellig wehren können. Das ist das Ziel des Gesetzespakets gegen Hass im Netz, das Justizministerin Alma Zadić (Grüne) und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) am Donnerstag präsentiert haben. Für die türkis-grüne Regierung war es keine leichte Übung. Mehrere Verhandlungsrunden hatten keine Einigung gebracht, und die Präsentation wurde mehrmals über Wochen verschoben.

Mit den Maßnahmen soll die "Gesprächskultur im Netz" wieder zurückgewonnen werden, sagte Zadić bei der Pressekonferenz, bei der auch die türkise Frauenministerin Susanne Raab sowie die Klubobfrau der Grünen, Sigrid Maurer, anwesend waren.

Justizministerin Alma Zadić (Grüne) in der ZiB2 über das Hass-im-Netz-Paket.
ORF

"Internet ist kein rechtsfreier Raum"

Auch werde mit dem Hass-im-Netz-Paket klargestellt, dass "das Internet kein rechtsfreier Raum ist", sondern auch dort der Rechtsstaat gelte, betonte die Justizministerin. Dafür sollen Youtube, Facebook und andere große Social-Media-Plattformen bei der Löschung hetzerischer und beleidigender Inhalte stärker in die Pflicht genommen werden. Sie müssten eine Ansprechperson bereitstellen, erklärte dazu Verfassungsministerin Edtstadler.

Zusätzlich sind außerdem strafrechtliche Verschärfungen vorgesehen. So soll Verhetzung nicht nur strafbar sein, wenn sie sich gegen ganze Bevölkerungsgruppen richtet, sondern auch wenn gegen einzelne Personen gehetzt wird, die diesen Gruppen angehören. Und "Upskirting" – also das verdeckte Fotografieren des Intimbereichs – wird unter Strafe gestellt. Für Frauen sei das "ein Meilenstein" – vor allem für junge Mädchen, sagte Frauenministerin Raab. Denn zwei Drittel aller 18- bis 23-jährigen Frauen seien Opfer von Hass-im-Netz-Delikten – Mädchen widerfahre das dreimal häufiger als Burschen.

"Viele junge Frauen, die online politisch aktiv sind"

Auch Zadić sieht Frauen als Hauptgruppe: "Viele, viele junge Frauen, die online politisch aktiv sind", sollen sich künftig rasch, niedrigschwellig und ohne allzu große Kosten gegen "wüste" Beleidigung, Beschimpfung oder Bloßstellung in Onlineforen zur Wehr setzen können.

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Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (rechts).
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Sie werden per Formblatt die Ausforschung der Täter durch das Gericht anstoßen und mit dem neuen Mandatsverfahren binnen weniger Tage einen Unterlassungsbefehl erreichen können – und dies für die ersten drei Jahre kostenfrei. Danach wird evaluiert und über die künftigen Kosten entschieden. Außerdem wird die Prozessbegleitung durch Opferorganisationen angeboten. Das einschlägige Strafrecht (Cybermobbing, Verhetzung) wird nachgeschärft.

Rasche Lösung

Für den Zugriff auf die Orte der Veröffentlichungen beschreite man mit der neuen Plattformzuständigkeit völlig neue Wege, erklärte Edtstadler. Über das neue Meldesystem und mit der Vorschrift für große Plattformen, eine Ansprechperson für Österreich zu nominieren, werde es möglich, Täter auszuforschen und die rasche Löschung zu erwirken. Außerdem müsse künftig berichtet werden, was gelöscht wurde und was nicht.

Im Sinn der Meinungsfreiheit werden aber nur große Plattformen (mit mehr als 100.000 Usern und mehr als 500.000 Euro Umsatz in Österreich) in die Verantwortung genommen – mit Ausnahmen für nicht gewinnorientierte Enzyklopädien (Wikipedia), Handelsplattformen (Willhaben) und Zeitungsforen (die bereits erhöhte Löschpflicht hätten). Diese Forenbeiträge hätte die ÖVP gerne "berücksichtigen" wollen. Die Grünen hielten aber erfolgreich dagegen.

Eine betroffene Frau ist Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer (links).
Foto: Standard/Cremer

Bei systematischen schweren Vergehen drohen "empfindliche" Strafen bis zu zehn Millionen Euro – samt Abschöpfung inländischer Zahlungen (etwa für Werbung) an im Ausland sitzende Foren.

"Leidige Geschichte mit dem Bierwirt"

Eine betroffene Frau ist Grünen-Klubobfrau Maurer. Ihre, wie sie sagte, "leidige Geschichte mit dem Bierwirt" geht demnächst in die Fortsetzung. Mit dem neuen Schnellverfahren wäre hier flott für Klarheit gesorgt worden. Bisher seien die Möglichkeiten, sich zu wehren, sehr beschränkt gewesen, betonte Maurer – für viele Betroffene auch aufgrund der Tatsache, dass sie eine Unterlassungsklage schnell einmal 10.000 Euro koste.

Für betroffene Nutzer, deren Postings gelöscht wurden, soll es ein Beschwerdeverfahren geben. Damit soll "Overblocking" verhindert werden – also überschießende Eingriffe in die Meinungsfreiheit. Auch müssen die Plattformen transparent dokumentieren, welche Beiträge gelöscht wurden und welche nicht.

Foto: Standard/Cremer

In Kraft treten soll das Paket gegen Hass im Netz mit 1. Jänner 2021. Jetzt kommen drei Gesetzesvorlagen in die Begutachtung: Das Hass-im-Netz-Bekämpfungsgesetz enthält die zivilrechtlichen Bestimmungen für das Mandatsverfahren samt Neufassung der Persönlichkeitsrechte im ABGB. Im zweiten Teil sind straf- und medienrechtliche Änderungen (Upskirting-Tatbestand, verschärfte Strafen und Medienrechts-Entschädigungsanspruch bis zu 100.000 Euro) zusammengefasst. Das Kommunikationsplattform-Gesetz enthält die neue Plattformverantwortlichkeit.

Datenschützer skeptisch

Mit wenig Begeisterung wird die Vorlage von der Privacy-NGO Epicenter Works aufgenommen. Obwohl die Regelungen sich vor allem an multinationale Netzgrößen wie Facebook richten sollen, würden sie aufgrund der nur sehr spezifisch gesetzten Ausnahmen auch viele andere erwischen.

Während etwa Plattformen, auf denen Dienstleistungen vermittelt und bewertet werden, ausgenommen seien, wären gemäß dem aktuellen Entwurf nach Ansicht von Epicenter auch Open-Source-Entwicklungsplattformen wie Github, Rezeptseiten oder Chats in Online-Games wie "World of Warcraft" betroffen. Eine solche Regelung, die Auswirkungen auf große Internetkonzerne haben soll, könne für kleinere Anbieter existenzgefährdend sein. Es könnte Anreize für Start-ups schaffen, absichtlich klein zu bleiben, um die Umsatzgrenze, ab der die Regelungen gelten sollen, nicht zu überschreiten.

Amnesty International bezeichnete die Maßnahmen gegen Hass im Netz am Donnerstag als wichtig und überfällig. "Hass im Netz hat gravierende negative Auswirkungen auf unser Zusammenleben und auf unsere Rechte: Diskriminierende und zu Gewalt aufstachelnde Äußerungen können dazu führen, dass sich Betroffene aus öffentlichen Debatten zurückziehen und aus Angst vor persönlichen Angriffen ihr Recht auf Meinungsfreiheit nicht mehr in Anspruch nehmen", sagte Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich, in einer Aussendung.

Die Organisation wies allerdings darauf hin, dass diese Maßnahmen nicht zulasten der Meinungsäußerungsfreiheit gehen dürften. Die Meinungsäußerungsfreiheit müsse geschützt werden, forderte Amnesty in einer ersten Reaktion. "Es muss für alle Menschen möglich sein, eine Meinung in eine Debatte einzubringen", so Schlack. Die Entscheidung, ob Inhalte rechtswidrig sind oder nicht, dürfe nicht an private Unternehmen ausgelagert werden, hieß es.

Die Beratungsstelle Zara sieht das Gesetzespaket ebenfalls als "wichtigen Schritt in Richtung Ausweitung und Stärkung des Schutzes von Betroffenen", wie es in einer Stellungnahme hieß. Positiv bewertet wurde etwa, dass die Verantwortung für die Strafverfolgung nicht mehr im Bereich der betroffenen Personen liege. Es stelle sich aber die Frage, "ob Meinungsfreiheit insofern gegeben ist, dass weder Menschen in ihrer Menschenwürde verletzt und aus dem Netz vertrieben werden, noch dass Plattformen aufgrund mangelhafter Vorgaben zu viele und intransparente Löschungen vornehmen", so Zara.

Opposition übt Kritik

Die Präsentation des lange erwarteten Gesetzespakets gegen Hass im Netz hat die Opposition am Donnerstag nicht wirklich zufriedengestellt. SPÖ und FPÖ kritisierten, dass die Verantwortung zur Löschung von beanstandeten Inhalten letztlich wieder bei den großen Online-Konzernen liege. Die Neos begrüßten das Gesetz grundsätzlich, vermissen aber die Zielgenauigkeit.

Katharina Kucharowits, netzpolitische Sprecherin des SPÖ-Parlamentsklubs, zeigte sich in einer Aussendung skeptisch. Der Gesetzesentwurf übergebe die Verantwortung zur Löschung von Inhalten wieder den großen Plattformen selbst, kritisierte sie. "Die Entscheidung, ob etwas verboten oder erlaubt ist, muss eine staatliche beziehungsweise unabhängige Stelle treffen und nicht ein privater Online-Monopolist", forderte die Abgeordnete.

Die FPÖ sieht in dem Paket der Regierung außerdem einen "weiteren Angriff auf die Grund- und Freiheitsrechte". "Unter dem Vorwand, eine bessere und schnellere Rechtsdurchsetzung zum Beispiel für Mobbingopfer gewährleisten zu können, will die Regierung missliebige Meinungen kriminalisieren lassen", vermutet sie in einer Stellungnahme.

"Insgesamt geht es in eine gute Richtung", urteilt die Social-Media-Expertin und Buchautorin (Hass im Netz) Ingrid Brodnig. Für sie sind "zwei große Pflöcke eingeschlagen worden". So werden Plattformen wie Facebook nun juristisch greifbarer, und man merkt, "dass die Verteidigungsmöglichkeiten von Opfern von Hass im Netz ausgebaut werden".

Das Gesetzespaket im Detail

Reichweite und Ausnahmen: Das neue Kommunikationsplattformen-Gesetz gilt für alle "in- und ausländischen Anbieter von Kommunikationsplattformen", die mehr als 100.000 Nutzer haben oder einen Umsatz in Österreich von über 500.000 Euro. Gänzlich ausgenommen sind Handelsplattformen wie Willhaben, nicht gewinnorientierte Online-Enzyklopädien wie Wikipedia und Medienunternehmen. Eine Klarnamenpflicht für Nutzer ist generell nicht vorgesehen.

Meldung & Löschung: Die Plattformen müssen einen für Behörden und Gerichte erreichbaren Beauftragten anstellen und ein "wirksames und transparentes Verfahren" für die Meldung und Löschung rechtswidriger Inhalte einrichten. Gelöscht werden muss binnen 24 Stunden, wenn die Rechtswidrigkeit "bereits für einen juristischen Laien (...) offenkundig" ist, beziehungsweise binnen sieben Tagen, wenn eine detaillierte Prüfung nötig ist. Über Anzahl und Ergebnis der Meldungen sind jährlich (beziehungsweise ab einer Million Nutzern quartalsweise) Berichte zu veröffentlichen.

Umgekehrt soll es aber auch ein Beschwerdeverfahren für die von Löschung oder Sperre betroffenen User geben, um "Overblocking" zu vermeiden. Für eine allfällige Strafverfolgung sind die gelöschten Postings zumindest zehn Wochen zu speichern. Und in der Strafprozessordnung wird geregelt, dass Opfer bei Gericht die Ausforschung des mutmaßlichen Täters beantragen kann.

Strafen & Sanktionen: Sollten Nutzer mit dem Beschwerdeverfahren unzufrieden sein, können sie sich an die Medienbehörde Komm Austria wenden. Diese kann bei wiederholten Verstößen Geldbußen bis zu zehn Millionen Euro verhängen. Sollte eine Onlineplattform keinen Sitz in Österreich haben, will man die Strafen eintreiben, indem Zahlungen österreichischer Firmen an die Plattform "abgefangen" werden (also zum Beispiel die Zahlungen von Werbekunden an das Online-Unternehmen). Möglich sind auch Geldstrafen gegen die von den Firmen nominierten Kontaktpersonen der Behörden (bis zu 50.000 Euro).

Mandatsverfahren: Erleichtert werden Unterlassungsklagen gegen "Hasspostings" ("Verletzung der Menschenwürde in einem elektronischen Kommunikationsnetz"). Gerichte haben einen Unterlassungsauftrag auch ohne mündliche Verhandlung und ohne Anhörung der Gegenseite zu erlassen, wenn sich die behauptete Rechtsverletzung aus der Klage schlüssig ableiten lässt. Dazu soll es ein Formblatt auf www.justiz.gv.at geben.

Upskirting: Neu geschaffen wird eine Strafbestimmung gegen "unbefugte Bildaufnahmen" des Intimbereichs. Damit wird das sogenannte "Upskirting" verboten und mit bis zu einem Jahr Haft bestraft. Dies erfasst etwa auch heimliche Bildaufnahmen auf der Toilette oder in der Umkleidekabine, nicht aber Aufnahmen in Badebekleidung im öffentlichen Raum.

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Ein Hassposting.
Foto: AP

Verhetzung & Cybermobbing: Nachgeschärft wird auch die "Verhetzung": Derzeit ist nur die Hetze gegen ganze Personengruppen strafbar. Künftig wird auch bestraft, wer etwa gegen Einzelpersonen hetzt, weil sie einer gewissen Religionsgemeinschaft oder Ethnie angehören (dies konnte bisher nur als Beleidigung geahndet werden). Der Strafrahmen bleibt mit bis zu zwei Jahren Haft unverändert. Verschärft wird auch das "Cybermobbing", das künftig schon ab dem ersten Posting (und nicht nur, wenn es "fortgesetzt" erfolgt) strafbar sein kann.

Medienrecht: Deutlich angehoben werden die Schadenersatzansprüche für Personen, die durch Medien in ihrem höchstpersönlichen Lebensbereich verletzt werden. Derzeit liegt der maximale Entschädigungsanspruch bei 50.000 Euro. Künftig sollen es bei besonders schwerwiegenden Verstößen gegen die journalistische Sorgfalt bis zu 100.000 Euro sein. Außerdem können künftig auch Unternehmen gegen Medien vorgehen, wenn unzulässige Berichte über beziehungsweise Hasspostings gegen deren Mitarbeiter das Ansehen der Firma schädigen.

Begutachtung in Brüssel und Wien

Der Entwurf für ein Gesetzespaket gegen Hass im Netz geht nicht nur in Österreich erst einmal in Begutachtung, sondern muss wegen der Relevanz für den europäischen Binnenmarkt auch ein EU-Notifizierungsverfahren durchwandern. Die dreimonatige Frist läuft auf EU-Ebene zeitgleich mit Bemühungen der Union, einheitliche Regelungen für alle Mitgliedsstaaten zu schaffen.

"Das Timing ist relativ parallel", sagte Johannes Bahrke, ein Sprecher der EU-Kommission, am Donnerstag im Gespräch mit der APA. Die Notifikation dreier Gesetzesentwürfe aus Österreich sei bei der EU eingegangen, nun hätten sowohl die EU-Kommission als auch andere Staaten drei Monate lang Zeit, um die Entwürfe zu prüfen und dann Stellungnahmen abzugeben. Diese Zeitspanne müsse man auf jeden Fall abwarten, betonte der Sprecher für Digitales.

Von europäischer Seite soll allerdings ebenfalls noch in diesem Jahr ein Vorschlag für eine einheitliche Regelung vorgelegt werden, kündigte Bahrke an. "Die Probleme sind ja grenzüberschreitend", sagte er. Grundsätzlich vertrete die Kommission die Auffassung, dass illegale Inhalte verboten werden müssten – es wäre allerdings sinnvoller, das auf EU-Ebene gemeinsam zu regeln, ließ er durchklingen.

Auch in anderen Ländern – etwa Deutschland oder Frankreich – gab es bereits ähnliche Vorstöße gegen Hass im Netz, allerdings würden in jedem Land bestimmte andere Aspekte behandelt, so der Sprecher. In der einheitlichen EU-Regelung sollten alle Inhalte erfasst werden – egal ob es sich dabei um Kinderpornografie, illegale Produkte, Terror oder Hassreden handelt. Außerdem sei es "höchste Zeit", die "E-Commerce-Richtlinie" zu aktualisieren, so der Sprecher. Dass nationale Gesetze dann an die einheitlichen EU-Regelungen angepasst werden, hält er durchaus für möglich. (sum, APA, 3.9.2020)