Die Theatercompagnie "Wortwiege" nimmt sich ab kommendem Mittwoch in Wiener Neustadt ihrer Lady Macbeth an: Olga Flor, Beobachterin gesellschaftlicher Verfallsprozesse.

Foto: Mag. Plankenauer

Die Dramatisierung ihres Romans "Die Königin ist tot" (2012) ist ab Mittwoch (9.9., 19.30) in den Kasematten von Wiener Neustadt zu sehen (Regie: Anna Maria Krassnigg): Die Steirerin Olga Flor gehört zu den streitbaren Autorinnen unseres Landes, die bereits gegen die Frauenpolitik der Regierung Kurz/Strache unüberhörbar die Stimme erhob. Die Autorin von sechs Romanen vereint in ihren Werken die satirische Kälte Elfriede Jelineks mit analytischer Seziermesserschärfe. Ein Gespräch über Trump, Covid und über Heimchen an den Herden (und in Thronsälen).

STANDARD: In Ihrem Stück "Die Königin ist tot" wird u. a. ein Lynchmord geschildert. Man fühlt sich an Bilder aus US-Städten erinnert. Übertrifft die Wirklichkeit die Vorschläge, die die Literatur an sie heranträgt?

Flor: Ich würde eher sagen: Was schiefgehen kann, geht auch schief. Ich habe tatsächlich eine Zeitlang in Chicago gelebt und bin aktuell erschüttert. Wenn sich die Lage in den USA weiter verschärft, haben wir in einem halben Jahr einen Bürgerkrieg. Ich hoffe, dass ich mich irre. Verliert Trump die Wahlen, wird er nicht kampflos abziehen. Gewinnt er hingegen … Mich erinnert Donald Trump an einen Kaiser der römischen Spätantike. Wobei es unter denen sehr vernünftige gab.

STANDARD: Die Theaterfassung Ihres Romans "Die Königin ist tot" beruht auf einer Neudeutung des Macbeth-Stoffes. Das Milieu wird nicht von schottischen Clans gebildet, sondern von Medien-Tycoons.

Flor: Ein Grundproblem unserer Gegenwart besteht in der Verwässerung journalistischer Standards. Neben Informationskanälen, die über ethische Grundlagen verfügen, gibt es soziale und andere Medien. Und wir bemerken, dass der Unterschied zwischen Twitter-Feeds und validen Meldungen zusehends nivelliert wurde. Es existiert der aktive Wille, möglichst abstrusen Verschwörungstheorien Glauben zu schenken. Wobei ich immer noch nicht verstehe, warum es interessanter sein soll, zu glauben, das Virus verdicke das Blut und man könne das Problem mit Alkohol lösen.

STANDARD: Der Zuwachs an Medienportalen hat eine Delegitimierung vorhandener Quellen bewirkt?

Flor: Vielleicht brauchen wir einfach mehr von der guten alten Aufklärung im Sinne von Horkheimer/Adorno.

STANDARD: Woher Ihr Interesse für Macbeth?

Flor: Shakespeare schildert in dieser Tragödie eine Beziehung, die einigermaßen auf Augenhöhe funktioniert. Wobei die Figur der Lady Macbeth, nachdem sie ihre dramaturgische Funktion erfüllt hat, sang- und klanglos aus dem Stück verschwindet. Sie geht ein in ein Zimmer des Wahns, in diesen "Bergfried". Als Bergfried hat sich für mich dann der Lake-Point-Tower in Chicago angeboten, in dem angeblich Oprah Winfrey ein Stockwerk bewohnt hat. Der Wald der Hochhäuser am Ufer des Lake Michigan erinnerte mich 2010 tatsächlich an den näherrückenden "Wald von Birnam", an die Erfüllung des Macbeth-Fluchs.

STANDARD: Eine Transponierung?

Flor: Ich interessiere mich seit jeher dafür, wo und auf welche Weise Entscheidungen getroffen werden, wo Macht sich verortet. Wie wird Information gefiltert, wie werden Fehlinformationen gestreut? Meine Lady Macbeth ist eine "patriarchatskompatible" Frau. Sie versucht, durch affirmative Verstärkung doch noch die Oberhand zu behalten. Es gelingt ihr nicht.

STANDARD: Haben sich die Bedingungen für feministische Anliegen seit 2012 verkompliziert?

Flor: Verschärft, und zwar rasant. Die Zunahme von autoritativen Tendenzen in Europa und in den USA ist eindeutig. Man betreibt mit offensichtlichen Lügen Politik und unternimmt nicht einmal den Versuch, Lügen zu bemänteln. Die Schamlosigkeit erreicht eine neue Qualität.

STANDARD: Wie verhält es sich mit den Möglichkeiten weiblicher Teilhabe heute?

Flor: Meine Lady Macbeth bleibt vor allem ihrem eigenen Anliegen treu. Wenn ich mir dagegen den Auftritt von Melanie Trump beim republikanischen Parteitag ansehe – existierte vor einiger Zeit nicht sogar das Anliegen, die arme Frau aus ihrem goldenen Käfig zu "befreien"? Das alles hat mit Teilhabe nichts zu tun. Schon gar nicht mit Strukturen, die eine gesellschaftliche Veränderung bewirken könnten.

STANDARD: Die Sache progressiver Anliegen stand schon einmal besser?

Flor: Stand sie. Vielleicht aber verhilft die "White Privilege"-Debatte zu einer Aufdoppelung. Vielleicht strömt aus der Ecke der Diversitätsdebatte auch feministischen Anliegen neue Energie zu. Teilhabe bedeutet die Erlangung von Gestaltungsmöglichkeiten. Dazu braucht es ein Gefühl für die Qualität von Demokratie. Zum Beispiel: Die stabilen Demokratien haben ihre Bürgerinnen und Bürger sehr viel besser durch die Pandemie gebracht als diejenigen, die demokratische Strukturen zurückgebaut haben.

STANDARD: Die Zeche für die gesellschaftlichen Einschränkungen von Covid-19 haben häufig Frauen gezahlt …

Flor: Es hilft nichts, dem Pflegepersonal zu applaudieren. Man muss es anständig zahlen. Man kann auch die Schulen nicht einfach "outsourcen" und viele Frauen damit doppelt belasten. Aber man sollte mit Blick auf die Pandemiemaßnahmen ganz generell die nationalistische Abschottung innerhalb von Europa beenden. Mit den Einschließungstendenzen ist viel Porzellan zerschlagen worden.

STANDARD: Ihre Bücher zeigen Gesellschaften, die unter Stress stehen. Wie fällt Ihr Stresstestergebnis mit Rücksicht auf Corona aus?

Flor: Wie die Maske jetzt instrumentalisiert wird von Verschwörungstheoretikerin, macht man aus einer Mücke einen Elefanten. Ich sehe sie als Zeichen, auch der Rücksichtnahme auf andere. Wir müssen auf einen zuverlässigen Impfstoff warten. Die schwächsten Glieder der Kette müssen von der Masse geschützt werden. Dabei ist mir die grassierende Impfangst ein Rätsel. Die Skeptiker profitieren schließlich von der Durchimpfung der anderen.

STANDARD: Womit wir wieder bei Verschwörungstheoretikern wären.

Flor: Das hat mit der Beschaffenheit unserer Medienlandschaft zu tun. Jede autoritäre Regierung versucht als Erstes, sich der Medien zu bemächtigen. Anne Applebaum schildert dies in ihrem Buch "Twilight of Democracy": Die parallel entstehenden Strukturen weisen häufig mafiöse Züge auf. Es geht nur mehr um Loyalitäten, meist gegenüber oligarchischen Klüngeln. Donald Trump agiert ja offen wie ein New Yorker Mafiaboss. Ein solcher sorgt für Umverteilung. In den Genuss der Früchte gelangen Getreue.

STANDARD: Ihr neues Buch handelt wieder von Politik und Gesellschaft?

Flor: Es geht um die lebensverlängernden Experimente, die einer kleinen Elite zugutekommen. Der Titel lautet "Morituri": "Die Todgeweihten". Es handelt sich um diejenigen, die Cäsar huldigen. Es besteht ein großes Bedürfnis nach Brot und Spielen. Und über die Sphären von Kultur und Politik spannt sich der Schirm der Finanzindustrie. (Ronald Pohl, 4.9.2020)