Käfige auf der Bühne.

Foto: Gerhard Breitwieser

Die Bühne: leer. Ein paar metallene Gitterschränke stehen vor der mit Mauerwerk bemalten Rückwand, wie Käfige sehen sie aus, die den Überfluss der Gesellschaft bewahren, Gerümpel und schwarze prallgefüllte Müllsäcke, Orangen, Plastikblumen. Das Saallicht ist noch an, drei Leute betreten so schlicht die Bühne, als wäre es kein Auftritt und gar kein Publikum da, als wären sie für sich. Sie nehmen an den Mikrofonen und Instrumenten Platz. Unmerklich wird das Saallicht gedämmt, da tastet sich ein junger Mann auf die Spielfläche. Schüchtern probiert er aus, wie das denn so ist, auf der Bühne zu stehen.

Selbstoptimierung

Regisseur Martin Gruber lässt seinen neuen Theaterabend sacht beginnen, als müsste sich sein Ensemble nach der langen Corona-Zwangspause erst wieder versichern, dass sie jetzt wirklich spielen dürfen. Es war die bisher längste Produktionszeit, deren es für die Erarbeitung bedurfte, sagt Gruber nach der Bregenzer Premiere am Mittwoch. Im Februar begannen die Proben des mit dem Linzer Landestheater koproduzierten Stücks, im Mai wäre Premiere gewesen. Dann der Lockdown, es gab Covid-19-Fälle im Ensemble, zwei Schauspieler mussten aussteigen, da sie zu den neuen Probenterminen bereits in anderen Produktionen verplant waren. Und das Stück selber, es wurde permanent an die neue Wirklichkeit angepasst.

Bürgerliches Trauerspiel – Wann beginnt das Leben nennt Martin Gruber den Abend. In gut einer Stunde demaskiert sein Ensemble (Michaela Bilgeri, Horst Heiß, Thomas Kolle, Benjamin Vanyek) das bürgerliche Leben, in dem jeder und jede scheinbar nur um sich selber kreist, einsam und allein, sich aufreibt zwischen Lockdown, Selbstoptimierung und der vergeblichen Suche nach einem Gemeinsinn.

Wilde Wortkaskaden

Wie in seinen anderen Inszenierungen lässt Gruber banale Alltagsepisoden mit den großen Problemen der Welt kollidieren, schneidet choreografische Elemente und rauschhafte Musik zwischen die Texte. Thomas isst keine Tomaten mehr, nur noch Saisonales, wegen der Flüchtlinge, die in Italien als Pflücker ausgebeutet werden. "Gemüse, Heimat, Österreich!", skandiert Horst. Benjamin erzählt, wie er im Militär genommen wurde, von hinten, ihm seien dabei zwei Zähne ausgeschlagen worden. Er löst die Prothese aus dem Mund, zeigt wieder und wieder seine Zahnlücke, als wäre sie die Beglaubigung einer schauderhaften Realität.

Gruber lässt Episode auf Episode folgen, in wilden Wortkaskaden stürmt sein Ensemble durch Youtube-Verschwörungen, hinterfragt den Hass auf Banken, auf Versicherer und Hedgefonds ("alle Arschlöcher"), tastet Begriffe wie Gleichberechtigung ab und extemporiert zu Themen wie Alkoholkonsum, verlorene Liebe, Sozialsysteme, die Bundesregierung. Man kommt kaum hinterher und folgt doch wie in einem Rausch, fasziniert von der Fülle an Denkanstößen und ihren Verknüpfungen. (Julia Nehmiz, 4.9.2020)