Christoph Wiederkehr attackiert ÖVP-Spitzenkandidaten Gernot Blümel: "Die ÖVP sagt, dass sie eine Politik rechts der Mitte macht. Ich sage dazu: ohne Anstand und Menschlichkeit."

Foto: Matthias Cremer

Ein Gespräch mit Christoph Wiederkehr ist so weit wie möglich sicher – zumindest für sein Gegenüber. Der Spitzenkandidat der Pinken lässt sich regelmäßig testen, er achtet auch im Wahlkampf auf Abstand. Denn das Thema Corona ist allgegenwärtig: Wiederkehr erzählt, dass das pinke Wahlkampfteam bisher 150 Gurgeltests absolviert hat. Eine private Firma wertet in wenigen Stunden aus. Bisher waren alle negativ. Wiederkehr selbst wurde Donnerstagfrüh das dritte Mal getestet.

STANDARD: Am Montag beginnt das neue Schuljahr. Sehen Sie die Wiener Schulen für die Herausforderungen des Coronavirus gewappnet?

Wiederkehr: Die Schulen werden im Stich gelassen. Es gab große Ankündigungen, aber im Endeffekt sind die Schulen für alles selbst verantwortlich und bekommen keine zusätzlichen Ressourcen. Jede Schule muss ein Corona-Team bilden. Aber für mich sind Lehrkräfte keine Corona-Manager, da braucht es zusätzliche Unterstützung. Die Stadt muss gewährleisten, dass bei Verdachtsfällen schnell getestet wird und Ergebnisse innerhalb von acht Stunden vorliegen. In Kindergärten brauchten Tests zuletzt bis zu drei Tage. Das ist unzumutbar.

STANDARD: Was fordern Sie?

Wiederkehr: Es gab 3000 Schüler, die durch den Lockdown von Lehrern gar nicht erreicht wurden. Schulen brauchen mehr Mittel für Sozialarbeiter, Schulpsychologen oder Gesundheitspersonal. Wir schlagen ein Sonderbudget von 40 Millionen Euro vor, vor allem für Brennpunktschulen. Aber was passiert? Eine Direktorin einer Brennpunktschule hat sich bei mir gemeldet und gesagt, dass bei ihr drei Stellen gekürzt wurden.

STANDARD: Sie fordern die Abschaffung der nicht amtsführenden Stadträte in Wien – wohlwissend, dass dafür die Bundesverfassung geändert werden muss. Warum?

Wiederkehr: Wir fordern auch die Abschaffung der 46 Posten der Bezirksvorsteher-Stellvertreter, die niemand braucht. Wien sollte beim Bund Druck erzeugen: Stattdessen findet Bürgermeister Ludwig nicht amtsführende Stadträte gut. Wir würden so einen Posten gar nicht annehmen, ich habe das beim Notar eidesstattlich erklärt. Mit uns gibt es keine pinke Ursula Stenzel. Als die Parteienförderung in Wien 2015 kurz nach der Wahl erhöht wurde, waren wir die Einzigen, die das verweigert haben. Seit der letzten Wahl haben wir den Wienern 1,5 Millionen Euro erspart.

STANDARD: 2015 kamen die Neos auf 6,2 Prozent. Wären Sie weiter zufrieden mit der Einstelligkeit?

Wiederkehr: Alles, was ein Plus ist, ist ein großer Erfolg. Wir wollen so stark werden, dass auch Koalitionsverhandlungen mit uns möglich sind. Wir wären die Kontrollkraft, und wir wären der Tritt in den Hintern der SPÖ.

STANDARD: Bundeschefin Beate Meinl-Reisinger bezeichnet die Neos als "die" Oppositionspartei. Sie bieten sich Bürgermeister Ludwig als Partner an. Sind sie sich uneinig?

Wiederkehr: Es gibt zwei Rollen in einer Demokratie. Die eine ist eine starke Kontrollkraft in der Opposition. Die andere ist Mitgestalten in einer Regierung. Aber nicht um jeden Preis. Man kann auch in der Opposition viel bewegen.

STANDARD: Sie haben eine Koalition ÖVP-Grüne-Neos mit einem Bürgermeister Gernot Blümel ausgeschlossen. Gilt das auch für jeden anderen Kandidaten an der Spitze?

Wiederkehr: Ja. Für mich ist ein Bürgermeister Blümel oder irgendeine Marionette unvorstellbar. Die ÖVP sagt selbst, dass sie eine Politik rechts der Mitte macht. Ich sage dazu: ohne Anstand und Menschlichkeit. Blümel hat auch unsere Forderung, 100 geflüchtete Kinder aus griechischen Lagern aufzunehmen, abgeschmettert. Blümel und die ÖVP fischen doch nur im blauen Wählerteich.

STANDARD: Die Neos fordern einen Ausbau der Radwege, statt sieben Millionen Euro wollen sie 27 Millionen pro Jahr investieren. Sie wollen einen S-Bahn-Ring um Wien, mehr grüne Fassaden, weniger Platz für Autofahrer. Das könnte auch in einem grünen Wahlprogramm stehen.

Wiederkehr: Das sind Zukunftskonzepte, die haben nichts mit Parteifarbe zu tun. Wir bringen noch Konzepte für gute Bildung und Kontrolle mit. Und da haben mich die Grünen enttäuscht.

STANDARD: Sie bezeichnen den Wiener Schnitzel-Gutschein als populistisch und reine Show. Wirtschaftskammer und Ökonomen sehen das anders. Was ist Ihre Kritik?

Wiederkehr: Das ist eine Gutschein-Politik. Zuerst bei den Taxis, dann bei der Gastro, die Grünen wollen einen Reparatur- und Öffi-Gutschein. Das hat eine Mentalität, wie es Jörg Haider gemacht hat. Geld verteilen und nicht auf soziale Treffsicherheit schauen. Mit uns gibt es das nicht.

STANDARD: Im Nationalratswahlkampf 2019 haben die Neos mit einem Wahlrecht für EU-Ausländer geworben. Bleibt das aufrecht?

Wiederkehr: Seit 2010 ist die Bevölkerung in Wien extrem gewachsen, aber es dürfen weniger Menschen wählen. Das betrifft aktuell fast 30 Prozent der hier lebenden Personen. Wir wollen, dass jeder EU-Bürger auch auf Gemeindeebene mitbestimmen darf.

STANDARD: Aber das muss im Bund geregelt werden.

Wiederkehr: Ich verstehe Landespolitik so, dass man sich dafür einsetzt und Druck erzeugt. Wir setzen uns auch dafür ein, Doppelstaatsbürgerschaften in Wien zu erleichtern. Eine Doppelstaatsbürgerschaft ermöglicht eine Erleichterung bei der Integration. (Interview: David Krutzler, 4.9.2020)

christoph wiederkehr (30) ist seit September 2018 Klubchef der Neos. Seit November 2015 sitzt er im Wiener Gemeinderat. Ende Juli 2020 wurde er zum pinken Spitzenkandidaten gewählt.

INTERVIEW: David Krutzler

Wiederkehr ist kein Fan des Gastro-Gutscheins: "Das hat eine Mentalität, wie es Jörg Haider gemacht hat."

Foto: Matthias Cremer

Die ÖVP sagt, dass sie eine Politik rechts der Mitte macht. Ich sage dazu: ohne Anstand und Menschlichkeit.

(4.9.2020)