Es geht nicht nur ums Geld: Die nun bedrohte Pipeline Nord Stream 2 war stets mehr als ein rein wirtschaftliches Projekt, als das es vom Kreml dargestellt wurde. Von Anfang an spielte beim Bau der Ostseepipeline eine große Rolle, dass so für Energielieferungen die Route durch die Ukraine umgangen werden kann. Spätestens ab 2014 war im Kreml damit auch der Entschluss verbunden, Kiew nicht weiter an den Transiteinnahmen der Gaslieferungen Richtung Europa verdienen zu lassen.

Nichtsdestoweniger ist Nord Stream 2 natürlich auch aus wirtschaftlicher Perspektive lukrativ. Die kürzere Route senkt die technischen Unterhaltskosten, zudem spart Russland pro Jahr Milliarden an Transitgebühren. Und teuer wäre eine Reparatur des in die Jahre gekommenen ukrainischen Pipelinesystems ohnehin geworden. So rechnete Gazprom als Hauptaktionär der Betreibergesellschaft damit, die 9,5 Milliarden Euro für den Bau der Ostseepipeline innerhalb von zehn Jahren wieder einzuspielen.

Umso härter würde die Russen der Stopp des Baus treffen, der sich ohnehin durch amerikanisches Störfeuer bereits massiv in die Länge zieht. Eigentlich fehlen dem Baukonsortium nur noch wenige Kilometer (160 von 2.500 Kilometern) vor der dänischen Küste zur Fertigstellung. Bis zum Jahreswechsel – so die aktuellen Planungen – sollen die letzten Rohre verschweißt werden. Nun wächst die Gefahr, dass die Pipeline nicht unter Wasser, sondern auf Eis gelegt wird. Wie Russland dann die steigenden Gaslieferungen Richtung Europa bewerkstelligen soll, ist unklar. Theoretisch könnte Moskau auf LNG-Terminals umsteigen, allerdings hat sich auf dem Gebiet eher der Novatek-Konzern als der Pipeline-Monopolist Gazprom hervorgetan. Das bedeutet also neue Milliardeninvestitionen. Es gilt als ausgemacht, dass Gazprom bei Sanktionen auf Schadenersatz klagen würde. Die juristischen Chancen wären gut, aber der Schaden wäre trotzdem enorm – für beide Seiten.

Schaden in jeder Hinsicht

Denn die wirtschaftliche Kooperation wird damit nachhaltig erschüttert. Dabei ist auch Europa für sein ambitioniertes Ziel, die CO2-Emissionen drastisch zu senken, vorläufig auf russisches Gas angewiesen, das als umweltgerechter als die Verbrennung von Kohle und Öl gilt und somit eine wichtige Brückentechnologie in der Energiewende darstellt.

Russland würde in jedem Fall auf neue Sanktionen mit Gegensanktionen antworten. Im Energiebereich bemüht sich Moskau schon jetzt um eine Wende gen Osten. Dies würde bei Sanktionen forciert, wobei dann neben China auch Indien als Abnehmer für Russland zunehmend interessant wird.

Auslastung der Gasröhre fraglich

Theoretisch könnte die in der Schweiz ansässige und von Gazprom kontrollierte Projektgesellschaft Nord Stream 2 den Bau der umstrittenen Gaspipeline innerhalb weniger Monate selbst fertigstellen. Das hatte Russlands Präsident Wladimir Putin im Dezember erklärt. Denn Russland verfüge über ein eigenes Spezialschiff zur Verlegung von Pipelines.

Russlands Präsident Wladimir Putin zufolge könnte die Projektgesellschaft Nord Stream 2 den Bau der umstrittenen Gaspipeline innerhalb weniger Monate selbst fertigstellen.
Foto: EPA/MIKHAIL KLIMENTYEV / RIA NOVOSTI

Für die notwendige Auslastung der Gasröhre und damit die Rentabilität des Investments ist so aber noch nicht gesorgt. An der Finanzierung der Röhre beteiligen sich fünf westliche Konzerne, darunter die OMV, Uniper und Wintershall Dea. Die Gesamtkosten werden auf 9,5 Milliarden Euro taxiert, von denen eine Hälfte Gazprom übernimmt und die andere die europäischen Partner. Wintershall Dea, OMV, Uniper, Royal Dutch Shell und Engie sind mit jeweils bis zu 950 Millionen Euro dabei und haben nach früheren Angaben bereits je rund 700 Millionen überwiesen. Der Schaden für jeden einzelnen Partner wäre also in der Ursprungsvariante finanziell überschaubar. Eine Änderung würde nicht nur den Russen teuer kommen. (Energie)politisch sitzen die Europäer zwischen den Stühlen. Denn sie haben sich stets dagegen verwahrt, dass die USA mit ihren Sanktionen die Energiepolitik der Union bestimmen. (André Ballin aus Moskau, Luise Ungerboeck, 3.9.2020)