Schweißerkurs in Wiener Neustadt. Oberstes Ziel des AMS ist Vermittlung.

Foto: Andi Urban

Ob die Geschichte gut ausgeht oder nicht, für Matthias wird sich das in den nächsten Monaten entscheiden. Seine Abschlussprüfung rückt näher, bald will er seine Ausbildung zum Tischler abschließen. Der Weg hierher war steinig. Matthias, ein hagerer, 36-jähriger Mann, hat lange als Seifenblasenkünstler gearbeitet. Das Geld reichte nie aus, und so landete er beim AMS. Mehr als zwei Jahre lang fand er keinen Job. Er wollte sich weiterbilden, etwas mit Holz machen. "Ich habe fast täglich meinen AMS-Berater angerufen und klargemacht, dass ich diese Ausbildung unbedingt will."

Dieser Kampfgeist hat sich ausgezahlt. Während Matthias seine Geschichte in einer Pause erzählt, werden hinter ihm schon wieder die Maschinen in der Tischlereiwerkstatt im Josef-Hesoun-Ausbildungszentrum in Wiener Neustadt angeworfen. Fräsen, schneiden, hobeln, schweißen. Den ganzen Tag über werden hier arbeitslose Menschen wie Matthias in technischen Berufen aus- und weitergebildet. Neben Schweißerkursen werden hier im Auftrag des AMS vom Bildungsdienstleister BFI 18-monatige Facharbeiterausbildungen angeboten, unter anderem zum Metall- und Elektrotechniker oder Tischler.

Die politische Vorgabe steht...

Bald dürfte hier noch mehr los sein. Im Juli hat sich die türkis-grüne Koalition darauf geeinigt, in Österreich "das bisher größte arbeitsmarktpolitische Programm für Aus- und Weiterbildungen" zu starten. 100.000 Menschen sollen davon profitieren.

Der Plan klingt gut. 423.000 Menschen sind aktuell arbeitslos gemeldet oder in Schulung. Das ist ein Drittel mehr als vor der Pandemie. Und es wird noch schlimmer. Der Arbeitsmarkt rutscht im Herbst und Winter Jahr für Jahr in eine Krise. Saisonal bedingt verlieren im Schnitt in der kalten Jahreszeit etwa 90.000 Menschen zusätzlich den Job, vor allem Bauarbeiter.

Nun könnten es heuer in der kalten Jahreszeit etwas weniger werden, sagen Arbeitsmarktexperten. Weil es schon im Sommer am Jobmarkt nicht so gut lief, wird die Saison-Delle wohl etwas kleiner ausfallen. Dafür läuft im Herbst bei vielen Unternehmen die Kurzarbeit aus, und danach stehen Kündigungen an. Wie beim Virus kommt also auch am Arbeitsmarkt eine zweite Welle auf Österreich zu. Was liegt da näher als Qualifizierungsangebote?

Damit die Aktion ein Erfolg werden kann, müsste eine Reihe von Hürden überwunden werden.

...doch viele konkrete Fragen sind noch offen

Zunächst sind viele praktische Fragen offen. In welchem Zeitraum die 100.000 Menschen qualifiziert werden sollen, ist unklar. Fix ist außerdem nicht, wie viel frisches Geld es für das Programm geben wird. Das AMS, das mit der Durchführung beauftragt werden dürfte, braucht eine Vorlaufzeit von vier bis sechs Monaten, um neue Ausbildungsplätze in höherer Zahl zu schaffen.

Je länger die Regierung zuwartet, umso später kann das Programm starten. Notgedrungen haben AMS-Landesgeschäftsführer wie Petra Draxl in Wien schon mit der Planung für 2021 begonnen. Von zehn bis 15 Prozent mehr Budget geht sie aus. Ob es so kommt, muss die Regierung erst festlegen.

Eine noch größere Hürde ist aber, dass eine Transformation stattfinden müsste: Das AMS muss von einer Agentur, die primär um Jobvermittlung bemüht ist, zu einem echten Dienstleister für Vermittlung und Ausbildung werden.

Das AMS muss primär vermitteln. So will es das Gesetz

Das gesetzlich vorgegebene Hauptziel des AMS ist, Menschen in Jobs zu vermitteln. Nur wenn es ein Hindernis dafür gibt, darf jemand überhaupt in Qualifizierungsmaßnahmen geschickt werden. Ein internes Kontrollsystem sorgt dafür, dass das eingehalten wird: Jede einzelne regionale AMS-Geschäftsstelle hat rigide Vorgaben dazu, wie viele Menschen sie vermitteln muss.

Ein Management-Punktesystem ("Balanced Scorecard") sorgt dafür, dass die Einhaltung der Zielvorgaben messbar ist, die Erfolgsprovision der AMS-Mitarbeiter ist an die Zielerreichung gekoppelt. In dieser Konstellation ist es für Berater oft besser, jemanden rasch zu vermitteln, als sie oder ihn in Qualifizierungsmaßnahmen zu schicken. Jede Ausbildung dauert und verlängert die Arbeitslosigkeit. Wenn auf die Qualifizierung keine Jobaufnahme folgt, wirkt sich das zusätzlich negativ im Punktesystem aus.

Wenn nun an nachhaltige Ausbildungsmaßnahmen gedacht ist, bräuchte es von Regierung und Sozialpartnern neue Vorgaben und einen internen Kulturwandel: Das AMS müsste die Prioritäten ändern. In Krisenzeit, mit mehr Arbeitslosen, ist das prinzipiell leichter. Doch aktuell sind trotz Krise 66.000 Jobs beim AMS offen gemeldet. Im Prinzip müssten Arbeitgeber also zumindest in der nächsten Zeit akzeptieren, wenn vielleicht in den kommenden Monaten Besetzungen öfter länger dauern, weil Arbeitssuchende so wie Matthias gerade zum Tischler ausgebildet werden.

Jobsuchende: Nicht die einfachsten Klienten

Hier kommt noch eine Schwierigkeit ins Spiel. Das AMS ist bereits einer der größten Bildungsvermittler. Mehr als 30.000 Facharbeiterausbildungen haben Lehrlinge und Erwachsene 2019 via AMS absolviert. Dabei ist es oft schwer, ausreichend geeignete Menschen für Qualifizierungsprogramme zu finden. Viele Jobsuchende sind gut ausgebildet und verlieren vorübergehend den Job.

Diese Menschen sind geeignet für Weiterbildungsangebote, brauchen sie aber nicht unbedingt. Dann gibt es eine Gruppe an schlecht ausgebildeten Jobsuchenden, für die längere Bildungsangebote eine hohe Hürde sind. Zumindest müssten sie intensiv vorbereitet werden. Das ist Sozialpolitik. Auch hier hat das AMS Angebote, aber die Erfolgsaussichten sind oft mies. Möglich also, dass die Zielvorgaben der Regierung zu ambitioniert sein werden.

Erschwerend kommt die neue Corona-Normalität hinzu. Das AMS hat zwar wieder begonnen, Kundentermine anzubieten. Kurse finden wieder statt. Doch die meisten Termine mit Beratern sind telefonisch.

Neue Corona-Normalität

AMS-Mitarbeiter erzählen, dass es schwerer wird, bestimmte Menschen zu erreichen: Ruhige Telefonberatungen klappen offenbar vor allem mit Jüngeren schlecht. Gruppentermine, bei denen viele Menschen über Ausbildungsangebote unterrichtet werden, gibt es Corona-bedingt aktuell auch nicht. Und: Es gibt mehr Jobsuchende, aber die Zahl der Berater blieb gleich. Mehr als 600 zusätzliche Berater wären nötig, um das Vorkrisenniveau bei Betreuungszeiten zu halten.

Mehr Geld, andere Prioritäten, mehr Personal, intensivere Betreuung wären also die Zutaten für eine erfolgreiche Ausbildungsoffensive. Jetzt ist die Regierung am Zug. (András Szigetvari, 4.9.2020)