Das Äußere des ethnografischen Pavillons des bosnisch-herzegowinischen Nationalmuseums verrät wenig über das Innere. Die Architektur des Museumkomplexes steht eindeutig in der Tradition der Monumentalbauten der Wiener Ringstraße. Wenig überraschend, dass sie tatsächlich auf einen böhmischen Schüler des berühmten Ringstraßenarchitekten Theophil Hansen zurückgeht.

In Bosnien wurde dieser vor die Herausforderung gestellt, in sein Gebäude mehrere wertvolle Holzinterieurs zu integrieren, die eifrige Museumskuratoren aus Wohnsitzen der muslimischen Oberschicht erworben hatten. Eingefasst wurden die insgesamt sechs historischen Zimmer von einer orientalisierenden Innenarchitektur.

Das Äußere des ethnografischen Pavillons des bosnisch-herzegowinischen Nationalmuseums (zu Habsburgerzeiten "Landesmuseum") verrät wenig über das Innere. Es sollte Unterworfenen und Unterwerfenden gleichermaßen als Ort der Erkenntnis dienen.
Foto: KK/Maximilian Hartmuth

Hier verschwammen nicht nur die Grenzen zwischen Altem und Neuen, sondern auch zwischen Volkskunde und Völkerkunde. Das Museum sollte nämlich Unterworfenen und Unterwerfenden gleichermaßen als Ort der Erkenntnis dienen. Die österreichisch-ungarische Okkupation Bosniens (1878, Annexion 1908) hatte rund eine halbe Million Muslime zu Untertanen Kaiser Franz Josefs gemacht.

Verräumlichte Erkenntnis

Erst wenige Jahre vor dem Zusammenbruch der Donaumonarchie konnte sich Wien zur Unterstützung eines monumentalen Museumsneubauprojekts in der bosnischen Landeshauptstadt durchringen. Das bosnisch-herzegowinische Landesmuseum (heute wie damals "Zemaljski Muzej Bosne i Hercegovine") hatte seit seiner Gründung 1888 in staatlich-zivilgesellschaftlicher Zusammenarbeit viel zur wissenschaftlichen Erschließung der ehemals osmanischen Provinz beigetragen. Trotz langzeitprovisorischen Räumlichkeiten, in denen Depots und Schaukästen aus allen Nähten platzten.

Zu den sperrigeren Artefakten gehörten diverse Holzvertäfelungen des 18. und 19. Jahrhunderts, denen die angemieteten Räumlichkeiten nicht gerecht werden konnten. Im langersehnten Museumsneubau, 1913 feierlich eröffnet, sollten sie besser zur Geltung kommen. Ein ganzes Geschoß in einem der vier Museumspavillons wurde ihnen zugeordnet, ja gewissermaßen auch von diesen "Zimmern" ausgehend konzipiert.

Zwischenwände wurden vom gewandten Architekten Karl Pařík so angeordnet, dass sie die ursprünglichen Raumverhältnisse simulierten und die aufwändig verzierten Holzplafonds ins rechte Licht rückten. Der Neubau brachte also nicht nur mehr Platz, sondern auch den Mehrwert einer zusätzlichen Erfahrungsebene: ein möglichst authentisches Raumerlebnis.

Festgeschriebene Kultur

"Belebt" wurden die Zimmer von Puppen in traditionellem Kostüm, das ebenfalls Ausstellungbestandteil war. Ein weiterer Raum im Obergeschoß wurde für mögliche weitere Interieurs oder Bestandteile ebensolcher reserviert. Das zeigt an, dass man das Sammeln dergleichen Objekte als grundsätzlich abgeschlossen ansah. Während die Ausstellungsflächen im Hochparterre flexibel bespielbar blieben – man zeigte dort "Waffen, Gefäße, Prachtgewänder, Stickereien" und wechselnde Ausstellungen –, war das Obergeschoß gewissermaßen "fertig". Es wurde als Ensemble-Artefakt eingefroren. Das Herausnehmen einzelner Zimmer ist nicht denkbar.

Das Obergeschoß ist sechs spätosmanischen Interieurs gewidmet. "Belebt" wurden die Zimmer von Puppen in traditionellem Kostüm, das ebenfalls Ausstellungbestandteil war.
Foto: Maximilian Hartmuth

Überhöhende Vorwegnahme

Für die Einbettung der historischen Interieurs in ein scheinorganisches Größeres wurde das Treppenhaus in einem Stil gestaltet, der sich an jenem "altbosnischer" Holzinterieurs orientieren sollte. Für diese Arbeit zog Pařík den jüngeren, aus Mähren gebürtigen Architekten und Denkmalschützer Josef Pospíšil hinzu.

Für die Einbettung der historischen Interieurs in ein scheinorganisches Größeres wurde das Treppenhaus in einem Stil gestaltet, der sich an jenem "altbosnischer" Holzinterieurs orientieren sollte.
Foto: Maximilian Hartmuth

Ihr Treppenhaus ist keine zurückhaltende Anfügung. Es steigert vielmehr die Erwartung und rahmt auf monumentale Weise etwas, das von geringerer Monumentalität ist. Ein großartiges Entree leitet stufenweise zu Privaterem.

Im Parterre zeigen sich dörfliche Dioramen in Spitzbogenvitrinen. Der Blick nach oben offenbart einen kunstvollen Holzplafond von einer Art, wie sie die österreichisch-ungarischen Zuzügler in alten bosnischen Häusern schätzen gelernt hatte. Die Treppe erklimmend eröffnet sich ein weiterer, nun den großzügigen Aufgangsraum überfangender, kunstvoll ornamentierter Holzplafond.

Erfahrungsparcours

Erkennbar ist nun auch auf halbem Weg, dass über dem zuvor durchschrittenen Vestibül ein gänzlich aus Holz gearbeitetes Schein-Zwischengeschoß mit perforierten Erkern hängt. Die "Vorhalle" darüber staffelt die Zugangserfahrung noch weiter. Über seitliche Aufgänge im Triumphbogenschema erreicht man über vier Treppen das eigentliche Obergeschoß mit den historischen Interieurs.

Die beidseitige Begehbarkeit ermöglicht – nach Begutachtung einer weiteren Vitrine mit dem Modell des Hauses eines bekannten spätosmanischen Paschas in Sarajevo – ein kreisförmiges Durchschreiten der Ausstellung. Die Architektur leitet durch einen optisch-ästhetischen Erfahrungsparcours.

Nebensächlich ist dabei, dass die Quelle des einen oder anderen Stilmittels vielleicht leichter in Kairo als in Sarajevo zu finden wäre. Pospíšils Treppenhausarchitektur pauschalisiert orientalisches Kulturgut in der Absicht, es zu würdigen. Westliche Idealbilder des Östlichen verschwammen mit tatsächlich Vorgefundenem.

Polysemische Architektur

Die Beschilderung informiert heute zwar grundsätzlich über die Herkunft der meisten Zimmer im Obergeschoß. Über die Sammlungsgeschichte erfahren wir aber wenig. Anlass, Motivation und Logik von Erwerb und Zurschaustellung der spätosmanischen Interieurs sowie die Beziehung mit der Rahmenarchitektur bleiben ungeklärt.

Jedenfalls scheint es ratsam, in einer Analyse dieses hochpolitischen Museumsprojekts nicht nach einem Publikum für dieses Spektakel und einer Botschaft zu suchen, sondern nach mehreren. Zu uneinheitlich waren die Interessen der Beteiligten.

So schätzten die "Aufklärer" wohl, dass hier Traditionen dokumentiert wurden, die nach 1878 erodierten. Landesfremden, die die Provinzregierung als willkommene Einnahmequelle sah, gewährte die Ausstellung Einblick in Aspekte einer für sie mysteriösen Kultur. Gegenüber der alteingesessenen Elite würdigte das Museum ihre traditionelle Sachkultur, nämlich als Artefakt, das einer musealen Ausstellung wert ist. Kunstgewerblern hingegen wurden Modelle zur Emulation bereitgestellt.

Nicht zuletzt belegte der ethnografische Pavillon als Bestandteil eines ehrgeizigen Kulturkomplexes den Überlegenheitsanspruch eines Regimes gegenüber dem von ihm abgelösten.

Museum als Mausoleum

Eine derartig mehrdeutig angelegte Ausstellungsarchitektur war allerdings schwerlich ohne Missverständlichkeiten möglich. Aus Sicht der österreichisch-ungarischen Expats, die die treibende Kraft hinter dem Museumsprojekt waren, sollte ein sehens- und erhaltenswertes regionales Erbe erfahrbar gemacht werden. Das Ausgestellte repräsentierte allerdings eine damals noch gelebte Sach- und Wohnkultur. Dadurch wurde sie einer vergangenen Zeit zugeordnet, die die österreichisch-ungarische Okkupation Bosniens von 1878 als Kulturbruch inszeniert.

Das Obergeschoß mit den sechs "Zimmern" wurde von ihnen ausgehend gestaltet und als Ensemble-Artefakt eingefroren.
Foto: KK/Maximilian Hartmuth

Diese und andere Widersprüchlichkeiten des Konzepts sind hundert Jahre später kaum mehr auffällig, wie auch die Außergewöhnlichkeit des Projekts an sich. Ein "koloniales" Projekt konnte weitgehend lautlos in eine nationale Perspektive übersetzt werden. Kritik ist möglich, aber nicht erforderlich. Man erinnert sich lieber an eine Habsburgerzeit der gesellschaftlichen Modernisierung als an eine Habsburgerzeit der kulturellen Bevormundung. (Maximilian Hartmuth, 9.9.2020)