Österreichs Chefdiplomat Alexander Schallenberg lud den russischen Botschafter in Wien ins Außenministerium.

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Berlin/Brüssel/Moskau/Wien – Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) hat in einem Interview harte Worte gegenüber Russland gefunden. Die mutmaßliche Vergiftung des oppositionellen Alexej Nawalny werfe ein "erschreckendes Licht" auf Russland, sagte er im Ö1-"Mittagsjournal". Er sei froh, dass die EU eine ganz klare Linie gezogen und eine starke gemeinsame Sprache gefunden habe. Rasche, umfassende Aufklärung sei nötig. Man müsse nun aber abwarten, wie Russland reagiere.

Es sei auch im Interesse des Landes, für Klarheit zu sorgen. "Auch Sanktionen stehen im Raum", das Regime für den Einsatz von Chemiewaffen stehe dazu bereit. In der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" hatte er zuvor gesagt, man müsse nun eine "Drohkulisse" gegenüber Russland aufbauen. Österreich werde "auf jeden Fall mit dabei sein", wenn es eine klare Reaktion der EU gebe, setzte er nun in Ö1 nach. Die Vergiftung Nawalnys könne "der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringen könnte".

Schallenberg sagte auch, er habe bereits am Donnerstag den russischen Botschafter ins Außenministerium einbestellt, dieser sollte am Freitag dort vorsprechen. Zuvor hatte die Opposition dies gefordert – Schallenberg betonte aber, er habe dafür "keine Zurufe" von dieser Seite gebraucht. Zur Debatte um die Pipeline Nord Stream 2 sagte er, er sei nicht sicher, ob ein Ende des Projekts "das bestgeeignete Mittel" sei, um eine klare Position zu finden. Die Diskussion müsse aber geführt werden. Russland sei zwar ein wichtiger Energielieferant, brauche aber auch Europa für den Handel.

Unklarheit über russische Ermittlungen

Zuvor hatte es geheißen, Russland habe rund zwei Wochen nach der mutmaßlichen Vergiftung Nawalnys nun doch Ermittlungen wegen versuchten Mordes aufgenommen. Das zumindest berichtete die Agentur Ria, die im Eigentum des Staates steht und sich auf die zentrale Ermittlungsbehörde beruft. Die Angaben sind allerdings widersprüchlich, denn bisher hatte Russland einen derartigen Schritt stets ausgeschlossen – denn nach Angaben der Ermittlungsbehörden liege ja gar keine Vergiftung Nawalnys vor, weshalb es auch keinen Verdacht geben könne.

Der Kreml hatte allerdings jüngst nicht ausgeschlossen, dass die Behörden tätig werden könnten, wenn sich die Ermittlungslage ändere. "Sollten sich die Informationen über giftige Substanzen in den Proben des Patienten bestätigen, dann besteht natürlich kein Zweifel daran, dass die Ermittlungen beginnen", sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Freitag der Agentur Interfax zufolge in Moskau.

Zumindest nach Erkenntnissen aus Deutschland ist dies in den vergangenen Tagen ja schon mehrfach geschehen. Am Mittwoch war die deutsche Kanzlerin Angela Merkel vor die Kameras getreten und hatte von eindeutigen Beweisen dafür gesprochen, dass Nawalny mit dem Nervengift Nowitschok vergiftet worden sei. Das hätten Untersuchungen an der Berliner Charité ergeben. Dorthin war Nawalny nach einigen Tagen aus der Stadt Omsk in Sibirien ausgeflogen worden, wo er zuvor behandelt worden war. Sein Zustand gilt mittlerweile als stabil und nicht mehr akut lebensbedrohlich, er liegt allerdings weiterhin im Koma.

Weber will Nord Stream 2 überdenken

Die deutsche Regierung setzt auch am Freitag ihre harte Linie gegenüber Russland fort. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland etwa, es sei "eine schwere Belastung für die Zusammenarbeit", wenn Oppositionelle um ihr Leben fürchten müssten. Unrecht müsse klar benannt werden, sagte Steinmeier weiter. Die Regierung in Moskau sei nun gefordert, Aufklärung zu schaffen.

Die EU hatte unterdessen Russland offen mit Sanktionen gedroht. In einer am Donnerstagabend veröffentlichten Erklärung heißt es, die Europäische Union rufe zu einer gemeinsamen internationalen Reaktion auf und behalte sich das Recht vor, geeignete Maßnahmen zu ergreifen. Dazu gehörten auch Sanktionen.

Der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei EVP, Manfred Weber, sagte diesbezüglich im "Spiegel" deutlich, dass zu den Maßnahmen auch ein Ende des Nord-Stream-2-Projekts gehören könne. An diesem Freitag werden außerdem Vertreter der Nato-Staaten in einer außerplanmäßigen Sitzung über mögliche Reaktionen auf die Vergiftung Nawalnys beraten. (mesc, 4.9.2020)