"Keine Wünsche, keine Träume. Keine Zukunft, keine Vergangenheit." So lautet das "Glaubensbekenntnis" des Ich-Erzählers im Roman des syrischen Schriftstellers Khaled Khalifa. Es ist eine zerrüttete, orientierungslose Gesellschaft, die Khalifa in seiner Familiengeschichte schildert.

Autor Khaled Khalifa beschreit in seinen Werken die tiefen Brüche, die die syrische Gesellschaft durchziehen.
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Da ist Suâd, die behinderte Schwester des Erzählers, die von der Mutter als "persönliche Schande" betrachtet wird und die man nach ihrem frühen, qualvollen Tod, in eine alte Decke gehüllt, auf den Friedhof bringt. Da ist Saussan, die lebensfrohe und kluge Schwester, die alle mitreißt mit ihrer Energie, deren Leben sich jedoch in eine Kette hoffnungsvoller Aufbrüche, Verirrungen und Enttäuschungen verwandelt. Ihre größte Angst ist, so zu werden wie ihre Mutter.

Sie träumt von Paris

Deren Leben beschreibt der Erzähler als Folge von Demütigungen. Sie träumt von Paris, westlicher Erziehung und einer anständigen Familie. Doch sie verliebt sich in einen Bauernsohn, der mit ihr in sein Dorf an der türkischen Grenze zieht. Als er sie mit den Kindern sitzenlässt, um mit einer anderen Frau nach New York auszuwandern, kehrt sie nach Aleppo zurück. Sie nimmt eine Stelle als Lehrerin an und versucht, mit bescheidenen Mitteln ihren Traum von einem Haus, in dem "überall klassische Musik" zu hören ist, wahrwerden zu lassen.

Das Viertel jedoch, das einst von Lattichfeldern und Nussbäumen durchzogen war, versinkt zunehmend in Gewalt und Dreck: "kreischende Lautsprecher, die die ganze Nacht über primitive Gesänge herausplärrten; Männer, die den Frauen hinterherspionierten; Mörder, die sich in den engen Gässchen versteckten und korrupte Polizeipatrouillen bestachen, damit sie nicht belangt wurden". Den Wendepunkt markierte der Putsch 1970, als Hafiz al-Assad an die Macht kam und das Land in eine Diktatur verwandelte. Die 1980er-Jahre erlebt die Familie als Ende einer wundervollen Epoche und lange Jahre "von Tod und Demütigung".

Khaled Khalifa, "Keine Messer in den Küchen dieser Stadt". Aus dem Arabischen von Hartmut Fähndrich. € 22,70 / 288 Seiten. Rowohlt-Verlag, Hamburg 2020
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Die politischen verknüpfen sich mit den privaten Demütigungen. Selbst Onkel Nisâr, der begnadete Musiker, dessen Zyklus "Schatten der Reue" einst die Berliner Philharmoniker spielten und der eine Stütze der Familie bildet, wird Opfer der Gewalt seines Geliebten Madhat. Der weiß die Demütigungen und die Angst, denen er sich ausgesetzt fühlt, nicht anders auszuleben als in Gewalt. Die Demütigungen zerstören die Menschen und treiben sie in die Arme religiöser Fanatiker. Saussans Geliebter Mundhir träumt in seiner Wehrlosigkeit davon, ein Kampfscheich zu werden. Auch der sensible Bruder Raschîd, der wahnsinnig verliebt in seine Schwester Saussan ist und musikalisch ebenso begabt wie sein Onkel Nisâr, beschließt, dem Aufruf von Scheich Abu Bakr zur "Verteidigung des geweihten islamischen Bodens gegen die neuen Kreuzritter" zu folgen, um im Irak gegen das US-Militär zu kämpfen.

Allein in Bagdad

Es sind tiefe Brüche, die das Land durchziehen, sich zurückverfolgen lassen bis zur französischen Mandatschaft und einander überschneiden wie die Gegensätze von Stadt und Land sowie die religiösen Konflikte zwischen den Alawiten an der Regierung und der sunnitischen Mehrheit der Bevölkerung. Bemerkenswert ist die Erwähnung des Massakers von Hama im Roman. Denn nach Angaben des Verlags lebt Khalifa nach wie vor in Syrien, und dieses Massaker, das Spezialeinheiten der Regierung von 2. bis 8. Februar 1982 in der Hochburg der sunnitischen Orthodoxie verübten, ist ein Tabu in Syrien. Gerichtet war es gegen die Muslimbruderschaft. Getötet aber wurden tausende Menschen.

Raschîd findet, auf sich allein gestellt in Bagdad, wieder zu seiner Musik und träumt von einer Welttournee. Zurück in Aleppo sieht er sich jedoch erneut den Demütigungen ausgesetzt: "Raschîd erstickte fast, als nach Ablauf der vierzig Trauertage für den verstorbenen Präsidenten dessen Sohn zum Nachfolger gekürt wurde. Er stellte sich vor, dass er sein ganzes Leben in Angst und Verzweiflung verbringen müsste." Sein Schicksal steht für die Entwürdigungen des ganzen syrischen Volkes. Sie jubeln wie befohlen dem neuen Präsidenten zu und führen ein Parallelleben. Aber "dieses ständige Schweigen und Sich-schämen-Müssen" ist nicht auszuhalten. Der verzweifelte Aufschrei eines Mannes aus dem Viertel, der seine Frau und seine Kinder verbrennt und sich anschließend mit dem Küchenmesser umbringt, gibt dem Roman den Titel: "Gibt es denn keine Messer in den Küchen dieser Stadt?" (Ruth Renée Reif, 6.9.2020)