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Laut der Österreichischen Jugendwertestudie 2019 ist Familie das Wichtigste im Leben junger Menschen. Auch Heiraten ist wieder angesagt.

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"Eigentlich sollten wir an dem Abend, an dem wir uns kennenlernten, beide nicht dort sein, wo wir waren. Wir trafen uns nur dank so vieler Zufälle", erzählen Stephan* (45) und Susanne* (42) aus Braunau in Oberösterreich. Sie lernten sich am 25. Oktober 1994 in einem Gasthaus kennen. Susanne war dort eigentlich mit ihrem damaligen Freund verabredet, doch als sie Stephan sah, kam alles anders. Susanne war 16 Jahre alt, Stephan 18 und für ihn war nach dem ersten Kennenlernen klar, dass sie die Mutter seiner Kinder werden würde. "Genau das sagte er zu seinen Eltern, bevor er mich für unser erstes Date abholte", sagt Susanne, während sie an ihrem Frühstückskaffee nippt und Stephan über den Tisch hinweg anlächelt.

Acht Jahre waren Susanne und Stephan zusammen, bis sie Eltern wurden. Die beide waren selbst die jüngsten Kinder, mit einem großen Altersunterschied zu ihren Geschwistern und dazu "eher alte Eltern". Susanne sagt, es sei für Stephan und sie deshalb immer klargewesen, möglichst früh Kinder zu bekommen. "Unsere Eltern hatten wenig Zeit oder Energie, um mit uns zu spielen, und wir hatten durch den Altersunterschied nicht die Nähe zu ihnen, die wir uns für unsere Kinder wünschten", erzählt sie. "Uns ist es wichtig, dass unsere Kinder uns von ihrem Liebeskummer und ihren Erlebnissen erzählen und wir gemeinsame Ausflüge machen. Familie steht für uns an erster Stelle." Die Wertvorstellungen des Paares waren stets ident. Sie hätten immer dieselben Vorstellungen vom Leben gehabt. Heute weiß Susanne, dass genau das den Erfolg ihrer Beziehung ausmacht.

Nicht viele Paare heiraten ihre Jugendliebe oder jemanden, mit dem sie bereits eine Beziehung begannen, als sie jünger als zwanzig waren. Das kann vielfältige Gründe haben, wie Psychotherapeutin Dominique Kotynek erklärt: "Als Jugendlicher hat man andere Prioritäten oder Erwartungen an das Leben, als man es als junger Erwachsener oder Erwachsener hat. Man lernt in dieser Zeit noch viele neue Menschen kennen, entwickelt neue Interessen, Weltanschauungen, Lebenspläne, und diese können dann von denen der zweiten Person abweichen."

Holpriger Start

Genau diese unterschiedlichen Interessen waren am Anfang der Beziehung auch ein Problem für Gabi* (38) und Matthias* (39) aus Vorarlberg. Sie lernten sich noch in der Schulzeit kennen, doch das Timing stimmte für das Paar am Anfang nicht. "Als wir das erste Mal zusammen waren, war ich 18 Jahre alt. Matthias war sich absolut sicher, dass wir zusammengehören. Aber ich nicht. Ich war noch nicht bereit für eine fixe Beziehung. In den ersten zwei Jahren habe ich so oft mit ihm Schluss gemacht, ich kann es gar nicht zählen. Seine Freunde verstanden nicht, wieso er sich nicht einfach eine andere Frau suchte. Aber er wusste, dass ich die Richtige bin. Und er hat nicht aufgegeben. Irgendwann habe ich verstanden, dass er mein Fels in der Brandung ist und ich mir keine Zukunft ohne ihn vorstellen kann", sagt Gabi. Das Paar hat inzwischen zwei Kinder, ist verheiratet und lebt in Wien.

Rückblickend sieht Gabi viele Vorteile darin, dass sie sich so früh kennenlernten: "Gerade in der Zeit zwischen 20 und 30 entwickelt man so viele wichtige Aspekte seiner Persönlichkeit, und der Charakter formt sich. Wir gingen während dieser Zeit gemeinsam nach Wien und ins Auslandssemester. In vielen Fällen kennt man das Gegenüber nicht nur in- und auswendig, sondern man weiß auch, wo gewisse Verhalten ihren Ursprung haben, weil man dabei war, als sie sich manifestierten." Als Beispiel nennt Gabi die Beziehung zur eigenen Familie und den daraus resultierenden Umgang mit den eigenen Kindern. "Wenn man sich so lange kennt und so viele Entscheidungen getroffen hat und Kompromisse eingegangen ist, hat die Beziehung eine Tiefe, von der ich glaube, dass man sie später nicht mehr erreicht."

Psychotherapeutin Dominique Kotynek erklärt, dass es für die Tiefe der Beziehung vor allem um die Kommunikation innerhalb der Beziehung geht: "Der Umgang miteinander, die Kommunikation, zusammenpassende Zukunftspläne etc. sind ausschlaggebend für eine funktionierende Beziehung. Ich denke, das Geheimnis einer guten Beziehung ist Kommunikation: Ob ich mit meinen Partnern länger oder kürzer zusammen bin, ist dafür unwichtig. Sie sollten bereit sein, an der Beziehung zu arbeiten, und einander mit Wertschätzung und Respekt begegnen."

Ihren Klienten empfiehlt die Psychotherapeutin dabei häufig eine Art Monats- oder Jahresgespräch. Wer dabei an einen beruflichen Kontext denkt, bekommt schnell eine Idee des Konzepts. Das Gespräch wird am besten auf neutralem Boden geführt, und dabei können Themen angesprochen werden, die in der letzten Zeit gut oder schlecht funktioniert haben. Besonders wichtig ist dabei, dem anderen zuzuhören und nicht nur die eigenen Worte anzubringen.

Geteilte Kindheitserinnerungen

Regelmäßige Updates darüber, wie es ihnen in ihrer Beziehung geht, sind auch für Johannes (26) aus Wien und seine Freundin wichtig. Er kennt seine Partnerin seit der frühen Jugend, als sie gemeinsam in der Musikkapelle spielten, und über die Zeit entwickelten sich aus Freundschaft Liebe und eine Beziehung. Die Fotoalben, die er zeigt, sind gefüllt mit gemeinsamen Bildern, seit sie 13 Jahre alt waren. Diese zeigen die beiden zuerst als Freunde, dann als Paar. "Wir haben uns gemeinsam entwickelt und sind in diese Beziehung hineingewachsen und haben erst am Weg herausgefunden, was für uns funktioniert und was nicht. Trotzdem möchte ich nicht nur Teil eines Paares sein. Da wir so lange befreundet waren, teilen wir fast alle wichtigen Erinnerungen miteinander. Da ist es wichtig, auch den Träumen und Wünschen und der Persönlichkeit der Einzelperson Platz zu geben."

Er selbst hadert immer wieder mit dem Gedanken, die richtige Person zu früh gefunden zu haben: "Ich habe Angst in zwanzig Jahren das Gefühl zu bekommen, dass ich etwas versäumt habe. Dass es in meinem Hirn plötzlich einen Schalter umlegt und ich mir denke, ich habe mich nicht genug ausgelebt und dann eine Beziehung, die gut funktioniert, aufs Spiel setze." Das ist vermutlich die Definition von Midlife-Crisis. Zum Glück kann Johannes diese Zweifel und Gedanken in seiner Beziehung äußern. Danach reden sie offen darüber.

Therapeutin Dominique Kotynek glaubt, dass diese Bedenken viele Menschen plagen: "Die Sorge etwas zu versäumen, kennt wohl jeder zu gut. Sei es, wenn man mit Baby zu Hause sitzt, während andere ihre Unabhängigkeit genießen, oder wenn sich jemand sexuell mit unterschiedlichen Personen austobt und man selbst mit dem Partner viel weniger Sex hat." Für Kotynek sei diese Angst völlig normal und kein Grund zur Sorge. Sie empfiehlt Paaren, offen über die Ängste in der Beziehung zu sprechen. Und genau hier kommt wieder die aktive Arbeit ins Spiel: "Durch Rücksprache finde ich heraus, was mein Gegenüber braucht, und ich kann äußern, was ich brauche", sagt Kotynek.

Benötigter Freiraum

Manchmal ist für eine funktionierende Beziehung auch die Zeit, die man allein verbringt, von großer Bedeutung. Gabi und Matthias, das lang verheiratete Paar aus Vorarlberg, sehen als Erfolgsrezept ihrer Ehe auch den Freiraum, den sie einander geben, und beschreiben diesen, vor allem seit sie Kinder haben, als besonders wichtig: "Plötzlich hat man drei Rollen. Einerseits ist man Mutter oder Vater, man ist eine Ehefrau oder ein Ehemann, und man ist trotzdem noch eine eigenständige Person, die auch Zeit für sich selbst braucht. Dass keine dieser drei Rollen zu kurz kommt, ist nicht immer einfach."

Auch Susanne und Stephan aus Oberösterreich, die zwei erwachsene Kinder haben, kennen dieses Problem. Susanne erzählt: "Es ist wichtig, dass eine Beziehung oder eine Familie ein Geben und Nehmen ist. Wenn man immer nur derjenige ist, der alles von sich gibt, dann führt das zu Frust. Als wir unseren Sohn bekamen, war unser Leben von einem Tag auf den anderen komplett anders. Darauf waren wir nicht vorbereitet. Wir wussten nicht, worauf wir uns einlassen. Besonders am Anfang fühlte sich Stephan vernachlässigt, da ich meine ganze Energie auf unser Kind und das Muttersein konzentrierte. Wir mussten also erst lernen, auch Zeit für uns einräumen. Wir wollten nicht, dass irgendwann die Kinder aus dem Haus sind und wir uns als Paar vergessen haben. Denn dann ist es egal, wie lange man zusammen ist und wie viele Erinnerungen man teilt. Deshalb ist es wichtig, hier früh genug zu reagieren und sich gegenseitig wertzuschätzen."

Auch für Bettina (57) aus Graz in der Steiermark ist die Wertschätzung etwas, das sie am meisten an ihrer Ehe mit Heinz (60) schätzt. Das Paar begann die Beziehung, als Bettina 17 Jahre alt war, sieben Jahre später heirateten sie und bekamen zwei Kinder. "Als ich schwanger wurde, war klar, dass ich meinen Job bei der Post beenden würde, um Hausfrau und Mutter zu sein. Damals gab es nicht die Kinderbetreuungsmöglichkeiten, die es heute gibt. Mein Mann schwor mir damals, sich finanziell immer um mich zu kümmern, egal was passieren würde. Er empfand meine Arbeit mit unseren Kindern genauso wichtig wie seine. Das gab mir sehr viel Sicherheit." Seit 40 Jahren ist das Paar nun zusammen, und die Ehe war nicht immer einfach. "Es gab gute und schlechte Zeiten und alles dazwischen. Mein Mann ließ mir bei der Kindererziehung komplett freie Hand. Ich denke, damit haben wir viel zusätzliches Konfliktpotential vermieden. Als vor zwei Jahren unser erster Enkel auf die Welt kam, konnten wir eine neue, wunderschöne Erinnerung teilen. Dieser Moment erinnerte uns an all die guten Erinnerungen und Momente der letzten 40 Jahren. Das sind die Augenblicke, die für uns zählen."

Fazit der Paartherapeutin

Dominique Kotynek zieht aufgrund ihrer Arbeit mit vielen Paaren Resümee: "Meiner Erfahrung nach machen Paare, die jung zusammen gekommen und lange zusammen sind, den Eindruck, die Beziehung weniger zu hinterfragen. Bei Paaren, die später zusammenkommen, besteht häufig das Problem, dass jeder genau weiß, was er möchte und was er nicht möchte. Paare, die sich jung kennenlernen, wachsen gemeinsam in die Beziehung rein, entwickeln einen Teil der Persönlichkeit in dieser Phase und gleichen diesen an die zweite Person an. Diese Paare können häufig Streitsituationen schneller schlichten. Der Grund kann sein, dass sie nicht mehr bereit sind so viel Energie in Kleinigkeiten zu investieren oder weil die Beziehung im Vergleich zum Streitthema einen höheren Stellenwert hat."

*Name von der Redaktion geändert