Energisch und feinfühlig: Dirigent Philippe Jordan.

Leclercq

Bedrohlich bohrt sich Philippe Jordans Blick in den Mann, fixiert ihn streng, als hätte sich dieser in der Tonart geirrt und den Anfang von Beethovens Fünfter statt in c-Moll in einer weit entfernten Tonart angestimmt. In Tonsüchtig, einem Film über die Wiener Symphoniker, deren Chef Jordan bis vor kurzem war, hält der streng beäugte Zeitgenosse allerdings kein Instrument. Es ist ein Schneider, der an Jordans Konzertfrack noch ein paar Verfeinerungen vornimmt.

Im Film von Iva Švarcová und Malte Ludin ist jedoch auch der ganz andere Jordan kennenzulernen: Während die Musik in einer Probensituation ertönt, sieht man einen gespannt, aber zerbrechlich blickenden, die Vorgänge überwachenden Schweizer Dirigenten, der schließlich bittet, man möge doch Lautstärke grundsätzlich nicht mit tiefem Ausdruck verwechseln.

Mann der Kontraste

Der 1974 in Zürich geborene Sohn des Dirigenten Armin Jordan und der Tänzerin Käthe Herknerin ist natürlich nicht nur blicktechnisch ein Mann der Kontraste: Beim Dirigieren scheut er nicht die große empathische Geste. Anderseits hat er delikate Details im kleinen Finger. Er ist vertraut mit der historisch informierten Musizierpraxis. Gleichzeitig versteht er es, diese historischen Erkenntnisse substanzvoll auch auf einen traditionellen Klangkörper zu übertragen. Seine Interpretationen sind denn auch sinnlich strahlende Dokumente eines strukturell strengen Fühlens, dem reichlich Analyse vorausging.

Er war auch in Graz

Als neuer Musikchef der Wiener Staatsoper wird er seine Fähigkeiten nicht nur in Premieren, wie am Montag bei Madama Butterfly, einbringen. Er betreut auch Teile des Alltags, was bisweilen aber Improvisieren bedeutet. Nicht alles vermag da bis zum finalen Detail erprobt werden.

Jordan ist jedoch, obwohl erst 45, ein erfahrener Musiktheatermann. Das Genre habe ihn von klein auf fasziniert, erzählt er zusammen mit Direktor Bogdan Roščić bei seiner Einstandspressekonferenz. Karrieretechnisch beschritt er zudem den altmodisch-gemächlichen Weg eines Kapellmeisters, der über Positionen bei kleinen Stadttheatern (Jordan wirkte auch in Graz) schließlich Musikchef der Pariser Oper wurde. Mit gerade einmal 35.

Mühe, ihn zu holen

Dass es – seitens Roščićs – gehöriger Mühe und vieler Gespräche bedurfte, Jordan nach Wien zu holen, lag nicht nur an der Frage, ob man miteinander auch im Stressfall gut auskommen würde. Auch der Blick in die Schleudersitz-Geschichte des Hauses spielte eine Rolle. "Wenn ich mir die Ahnengalerie der Musikdirektoren in diesem Haus anschaue, dann flößt das schon Respekt ein. Und nicht nur, wenn ich mir die Namen anschaue – sondern auch wenn ich sehe, wie sie ausgeschieden sind. Da fragt man sich schon: Will ich mir das antun?"

In lebhafter Erinnerung muss dabei auch der vorzeitige Abgang von Kollege Franz Welser-Möst (dirigiert ab Dienstag die Elektra) sein, mit dem Jordan offenbar die Sympathie für die Stille teilt. Nicht nur Welser-Mösts aktuelles Buch trägt den Begriff im Titel, auch bei Jordans Publikation verhält es sich so.

Stück sehr wichtig

In Der Klang der Stille (Residenz) spricht Jordan aber auch von der Oper als dem Königskunstwerk überhaupt. "Wenn alle Elemente stimmen, ist sie die größte Kunstform, die es gibt." Regie spiele dabei eine wichtige Rolle, wobei sich Jordan wünscht, inszenatorische Ideen würden aus dem Stück, wohl vor allem aus der Musik heraus entwickelt. "Ein Regisseur sollte doch die Partitur lesen können. Und wenn nicht, was heute meist der Fall ist, dann muss er eine musikalische Sensibilität, ein Ohr haben."

Wie das an der Staatsoper funktionieren wird, darf an jeweils drei Premieren pro Saison beobachtet werden. Nach der montägigen Butterfly in dieser Spielzeit also noch anhand von Wagners Parsifal (Regie: Kirill Serebrennikov) und Verdis Macbeth (Regie: Barrie Kosky). Tendenziell wird Jordan an die 40 Vorstellungen pro Saison leiten, natürlich auch den neuen Ring des Nibelungen. Er wird in der finalen Spielzeit der aktuellen Funktionsperiode 2024/25 herausgebracht.

Stille wird gesucht

Jordan wirkt guter Dinge. Es sei die friktionsfreie gute Zusammenarbeit mit der Regie allerdings, so Jordan, eher unberechenbar. Das Kennenlerngespräch mit Regieköpfen "verlaufe ja praktisch immer gut", die Zusammenarbeit hingegen bei weitem nicht immer so angenehm. Da hört auch Roščić genau zu.

Tja. Zur Konfliktreflexion wird Jordan womöglich auch jene Stille aufsuchen, von der er im Buch schwärmt: Sie auf dem Gipfel "eines Berges oder mitten in der Wüste zu erleben, gehört zu den intensivsten und beglückendsten Eindrücken". Neben der Musik natürlich. (Ljubiša Tošić, 5.9.2020)