Kanzler Sebastian Kurz ist in seiner Rede zur Lage der Nation auf die wirtschaftliche Entwicklung eingegangen.

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Regional kaufen ist ökologischer, aber ist es auch automatisch besser für die Wirtschaft?

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Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie in Österreich schwirrt dieses Schlagwort in der öffentlichen Debatte umher: "Kauft regional!" Dahinter stecken die Erfahrungen vom Höhepunkt der Krise im März, als klar wurde, dass bestimmte, dringend benötigte Produkte wie Schutzmasken im Inland kaum hergestellt werden. Zugleich geht es bei dem Aufruf auch um die Stärkung der inländischen Wirtschaft: Je mehr regional, also in Österreich, gekauft wird, umso besser für Betriebe und Arbeitnehmer.

Aber sind Zusammenhänge immer so simpel? Ökonomisch lässt sich diese Frage an einem aktuellen Fall gut diskutieren. Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ist am Freitag vor einer Woche in seiner Rede zur Lage der Nation auf die wirtschaftliche Entwicklung eingegangen. In einer Passage betonte er: "Wenn wir es alle gemeinsam schaffen, dass 20 Prozent regionale Produkte mehr in Österreich gekauft werden, dann schafft das bis zu 50.000 zusätzliche Jobs und bringt eine Wertschöpfung von rund fünf Milliarden Euro."

Sieben-Seiten-Studie

Unter Ökonomen tauchte die Frage auf, woher diese Zahlen stammen. Bei den führenden Wirtschaftsforschungsinstituten Wifo und IHS war keine entsprechende Analyse bekannt. Die Antwort lieferte dann der Sprecher von Ministerin Elisabeth Köstinger via Twitter: Im Mai hatte die Österreichische Hagelversicherung auf seiner Website eine Meldung zu einer "neuen Studie" veröffentlicht, in der Friedrich Schneider von der Uni Linz und sein Kollege Stefan Jenewein von der Gesellschaft für Angewandte Wirtschaftsforschung auf ebendieses Ergebnis gekommen waren.

Bei genauerer Betrachtung des siebenseitigen Papers tauchen allerdings einige Fragezeichen zu den Zahlen auf. Schneider und Jenewein sehen sich an, wie viel Lebensmittel und Agrarprodukte importiert werden. Sie addieren dazu einen Wert, der einem Prozent der Gesamtimporte entspricht. Wie sie darauf kommen? Weil laut Schneider auch in vielen sonstigen Waren Lebensmittel drinstecken. In Summe macht das 15,2 Milliarden.

Dann berechnen sie, was geschieht, wenn ein Anteil von zehn, 20 oder 30 Prozent durch heimische Erzeugnisse ersetzt wird. Bei 20 Prozent würde die Wirtschaftsleistung um 4,6 Milliarden steigen, 46.000 neue Jobs würden entstehen. Durch den vermehrten Konsum im Inland würden mehr Maschinen benötigt werden, die ganze Wirtschaft würde also dynamisch wachsen.

Die gewagten Annahmen

Nun ist es legitim, anhand von Studien Szenarien zu untersuchen. Allerdings müssen die Annahmen realistisch sein. Hier gibt es gleich mehrere Schwachpunkte. Zunächst wurde der Preiseffekt nicht berücksichtigt. "Ein wesentlicher Grund, warum international gehandelt wird, ist, dass gewisse Güter im Ausland billiger produziert werden und sich das in niedrigeren Preisen für die Konsumenten widerspiegelt", sagt der Ökonom Harald Oberhofer von der WU Wien. Sprich: Wenn 20 Prozent der Importe ersetzt werden, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass das inländische Fleisch und die Fertiggerichte, die stattdessen auf den Markt kämen, teurer würden.

Dann könnten Konsumenten sich weniger leisten, der positive Effekt auf die Wirtschaft wäre kleiner. Ein weiterer unberücksichtigter Punkt: Wenn Österreich 20 Prozent weniger importiert, ist es da realistisch, anzunehmen, dass Handelspartner nicht reagieren? Handel ist immerhin nie eine Einbahnstraße, Österreich exportiert viel.

Ökonom Schneider sagt zu beiden Punkten: "Ich gebe zu, das müsste berücksichtigt werden." Er habe einen Denkanstoß liefern wollen und keine "Megastudie". Diskussionswürdig ist aber noch ein Punkt: Angenommen wird, dass alle benötigten zusätzlichen Vorleistungen, etwa Tierfutter, aus dem Inland kommen würden. Dabei importiert Österreich jährlich mehr als eine halbe Millionen Tonnen Sojaschrot derzeit als Tierfutter.

Warum die Hagelversicherung?

Schneiders Koautor sagt, die Auftragsvorgaben der Hagelversicherung waren eng, man sollte sich an ältere, ähnliche Studien von Schneider halten. Eine richtige Analyse des Themas hätte diese Punkte berücksichtigen müssen.

Eine der sechs zitierten Quellen in der Studie ist übrigens Kurz selbst, der via Twitter schon früher zu regionalem Konsum aufrief.

Fragt sich zum Schluss: Warum interessiert sich die Hagelversicherung für das Thema? Die ist im Eigentum der heimischen Landwirte, ein Interesse an mehr heimischer Produktion darf vermutet werden. Bei der Hagelversicherung spricht man von einer unabhängigen Studie. Das Anliegen war, eine Initiative für eine regionalere und ökologischere Landwirtschaft zu setzen. (András Szigetvari, 5.9.2020)