Am frühen Abend kippt die Stimmung. Die 19 Kommissionsmitglieder tagen bereits seit 15 Uhr, fünf Stunden wird es schlussendlich dauern. Das Ergebnis: Vier Regionen werden gelb eingefärbt. Linz, Wien, Kufstein und Graz sind fortan mittlere Corona-Risikogebiete, zu dem Zeitpunkt weiß es nur noch fast niemand. Die Vertreter der betroffenen Bundesländer sind massiv verärgert. Das Ergebnis sei nicht nachvollziehbar. Die Parameter nicht einheitlich. Die Ampel? "Ein Riesenmurks", heißt es aus einem Bundesland.

Rudolf Anschober allein zu Haus? Nicht nur bei den Grünen konstatiert man, dem Gesundheitsminister fehle der Rückhalt des Koalitionspartners.
Foto: Christian Fischer

Am nächsten Tag, dem Freitag, wird es nach der Präsentation der Corona-Ampel durch die Bundesregierung 43 Minuten dauern, bis der rote Linzer Bürgermeister Klaus Luger sagt, er wolle die geforderten Maßnahmen nicht umsetzen. Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) stützt ihn dabei, er spricht von einem "Fehlstart" der Ampel. Das Gesundheitsressort reagiert prompt: Der Bund habe die Kompetenz, regional etwa eine schärfere Maskenpflicht zu verordnen. Wien und Tirol geben sich abwartend. Doch es brodelt auch dort.

Konstruktionsfehler

Seit einigen Wochen schon steht der grüne Gesundheitsminister unter Dauerbeschuss – durch die Opposition, Rechtsexperten, den Koalitionspartner und nun auch die Länder. Man fragt sich: Alle gegen Rudolf Anschober?

"Die Ampel-Kommission hat einen Konstruktionsfehler", sagt jemand, der nahe dran ist. Es werde so getan, als handle es sich dabei um die Ergebnisse eines Expertengremiums, dabei sei sie in erster Linie politisch besetzt: mit neun Vertretern der Länder, fünf Vertretern aus Ministerien und fünf Experten. "Das ist, als ob man jemandem das Gehalt kürzen wolle und ihn darüber mitverhandeln lässt. Natürlich wehrt der sich mit Händen und Füßen." Anschober habe alle miteinbeziehen wollen, aber sei dabei naiv vorgegangen. Die ÖVP würde sich heraushalten und genüsslich zusehen, wie der Gesundheitsminister anrennt, heißt es im Umfeld der Kommission.

In der Kanzlerpartei will man davon nichts wissen – trotz aller Turbulenzen bei der Corona-Ampelpremiere stehe die Koalitionsampel auf Türkis-Grün. Und trotz der Widerstände auch aus ÖVP-geführten Ländern hört man dort: "Wir machen das jetzt. Wenn wer etwas kritisiert, kritisiert er’s – und Punkt."

Schon nächste Woche stehe die nächste Ampelsitzung mit den Ländervertretern an – das neue System sei eben als "Prozess" zu verstehen, bei dem man "immer schlauer" werde. In so manchen Ländern wird da anderes befürchtet: Kommende Woche sollen angeblich auch die Pendlerströme für die Ampelschaltung miteinberechnet werden, was zu einigen Umwälzungen führen könnte. "Jede Woche wartet die nächste Krisensitzung", heißt es aus einem Bundesland. Denn die Corona-Kommission wird jeden Donnerstag zusammentreten, Freitag wird "Ampeltag", wie Anschober sagt. Der Gesundheitsminister will dann immer eine Pressekonferenz abhalten und das Volk über Neuerungen informieren.

Ständige Sticheleien

Doch fehlt Anschober dafür der Rückhalt? Das Knirschen im Koalitionsgetriebe ist für aufmerksame Politbeobachter nicht erst seit der ersten Ampelschaltung zu vernehmen. Schon seit dem Spätsommer hat die ÖVP gegenüber dem grünen Gesundheitsminister nicht gerade den Schongang eingelegt. Noch dazu steht jetzt in Wien eine Wahl an – und der Oberösterreicher Anschober lässt sich von den Wiener Grünen neben Spitzenkandidatin Birgit Hebein plakatieren.

Aus Sicht des kleinen Koalitionspartners reizt das die Türkisen und sorgt bei ihnen für Nervosität: Denn in Beliebtheitsrankings gilt Anschober, der im Frühsommer an Kanzler Kurz vorbeigezogen ist, nur von Bundespräsident Alexander Van der Bellen als geschlagen. Kurz’ Vertrauensmann Gernot Blümel, der als Finanzminister für die ÖVP den Wiener Frontmann gibt, sei hingegen "nicht gerade der oberste Sympathieträger", heißt es bei den Grünen. "Daher versuchen sie gegen Anschober zu kampagnisieren."

"Da soll schon etwas kommen"

Die ständigen Sticheleien führt man in den Reihen von Werner Kogler und Co offiziell auf das Buhlen um die Gunst der Wähler zurück – hinter den Kulissen gibt es dazu in der Partei aber längst zwei Denkschulen, erzählt eine Grüne: Die eine Fraktion drängt schon seit geraumer Zeit darauf, den Türkisen endlich etwas entgegenzusetzen. Die andere meint, die Störfeuer der ÖVP brauche man nur zu ignorieren – und die habe sich bisher durchgesetzt. Das liege auch daran, dass der Parteichef bis vor kurzem noch auf Urlaub geweilt habe. Nachsatz: "Doch demnächst soll da schon etwas kommen."

Zudem argwöhnt man bei den Grünen, dass Kurz Anschober auch als Sozialminister, und damit für Pflege und die betagte Generation zuständig, den Erfolg nicht gönne. Denn bei diesen Themen sehe auch der Kanzler bundesweit großes Wählerpotenzial, wie in der Corona-Krise seine ostentative Sorge um die ältere Risikogruppe samt ihren möglichen Vereinsamungsproblemen zeige.

Bis dato bleiben die grünen Revancheakte noch unter der Wahrnehmungsschwelle. Doch hinter vorgehaltener Hand, gesteht man ein, habe man unlängst bei einem dringenden Kanzlerwunsch absichtlich verzögert. Während Kurz das türkis-grüne Paket gegen "Hass im Netz" angeblich unbedingt schon vergangene Woche festzurren wollte, ließ sich das grüne Verhandlungsteam nicht zu einem raschen Abschluss drängen. Die Befürchtung lautete: Wegen seines Allmachtsanspruches sei der türkise Kanzler glatt dazu imstande, den Durchbruch in seinem ORF-Sommergespräch allein zu verkünden. (Katharina Mittelstaedt, Nina Weißensteiner, 5.9.2020)