Im Vergleich mit anderen Maßnahmen könnte eine Technische Universität in Linz zu lange brauchen und auch viel zu viel Geld verschlingen, so der Wifo-Ökonom Jürgen Janger im Gastkommentar.

Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat angekündigt, dass es eine neue Technische Universität in Linz geben soll. Die Rektoren der bestehenden TUs zeigten sich skeptisch.
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Fachkräftemangel ist ein zentrales wirtschaftliches und gesellschaftliches Problem. Unternehmen können nicht so wachsen wie möglich, Lösungen für drängende Probleme dauern länger als nötig. Oberösterreich ist eine technologieintensive Industrieregion, und Österreich insgesamt steht bei Digitalisierung im internationalen Vergleich gar nicht gut da. Keine Frage, zusätzliche Digitalisierungskompetenzen wären daher begrüßenswert. Aber ist die vorgeschlagene Gründung einer neuen Technischen Universität (TU) Linz, der dann 23. Universität in Österreich, ein effizienter und effektiver Weg für mehr Digitalisierungsfachkräfte?

Einige Punkte lassen daran zweifeln: Erstens, die Neugründung einer Universität braucht Zeit – Verwaltungsstrukturen müssen aufgebaut, wissenschaftliches Personal in langwierigen Berufungsverfahren rekrutiert und Lehrpläne entworfen werden, bevor Studien überhaupt starten können. Bis die Unternehmen in Oberösterreich erste Absolventinnen und Absolventen sehen, würde es bei einem operativen Start der TU Linz ab 2024 mindestens bis 2027 dauern. Zur Linderung eines akuten Fachkräftebedarfs ist das sehr lange, bis dahin könnte sich dieser in puncto Quantität und Qualität ganz anders präsentieren. Schneller wäre es, an bestehenden Einrichtungen, etwa an höheren technischen Lehranstalten, Fachhochschulen und Unis, mehr Ausbildungskapazitäten zu schaffen.

"Österreich würde weniger, dafür mehr international sichtbare Einrichtungen benötigen."

Zweitens, die Kosten einer Neugründung sind höher als die der Nutzung bestehender Strukturen. Die Kepler-Universität Linz ist weder im nationalen noch im internationalen Vergleich groß, die Fachhochschule Oberösterreich mit dem Informatikcampus Hagenberg und dem Technikcampus Wels würde es wahrscheinlich auch schaffen, mehr Studierende in ihren administrativen Strukturen unterzubringen. Abgesehen von den Rektoraten selbst, betrifft dies zahlreiche Support-Services, die moderne Hochschulen benötigen, wie etwa eine Bibliothek oder ein Forschungsservice zur Unterstützung bei Anträgen und Kooperationsprojekten.

Drittens, mehr Angebot heißt nicht automatisch auch mehr Nachfrage. Zunächst könnten sich nicht ausreichend Studierende für die neue Technische Universität interessieren oder bloß von anderen Angeboten in Ober- oder Restösterreich wechseln. Studienanfängerinnen und -anfänger beenden ihr Studium nicht immer – Stichwort hohe Drop-out-Raten. Schließlich kann niemand Absolventinnen und Absolventen zwingen, dann in der Region selbst tätig zu werden, wie anhand der geringen Bleiberate in der Medizin offensichtlich.

Henne-Ei-Problem

Für Entscheidungen über neue Einrichtungen wären daher wichtige Randbedingungen zu berücksichtigen. Dazu zählt unter anderem das insgesamt rückläufige Studierendenpotenzial aufgrund der Schülerinnen- und Schülerzahl in Oberstufen, wobei es noch viel Potenzial für weibliche Studierende in Wissenschaft und Technik gibt. Mangelnde nationale Studierende könnte man durch internationale kompensieren, aber die kommen gerne an prestigereiche Institutionen, was zum vierten Punkt führt:

Neugründungen sehen sich bei der Rekrutierung von Spitzenkräften einem Henne-Ei-Problem gegenüber. Letztere kommen lieber an Einrichtungen, wo sie mit anderen Spitzenkräften zusammenarbeiten können. Gibt es die nicht, braucht es schon die Schirmherrschaft hervorragender Forschender und das Versprechen toller Forschungsbedingungen (siehe IST Austria), um das Projekt gelingen zu lassen, außer regionales Mittelmaß ist von vornherein das Ziel.

Stark zersplittert

Fünftens, tolle Forschungsbedingungen sind im gegenwärtigen universitären Finanzierungssystem schwierig zu bewerkstelligen: Österreichs Hochschullandschaft ist im Vergleich mit Deutschland und der Schweiz stark zersplittert und würde weniger, dafür mehr international sichtbare Einrichtungen benötigen. Das gerade herausgekommene Times Higher Education Ranking, in dem sich Unis aus Asien stark verbessern, zeigt es wieder.

Die universitäre Finanzierung richtet sich in Österreich eher nach Lehr- und Forschungskapazität, die wettbewerbliche Vergabe von Grundlagenforschungsmitteln ist gering ausgeprägt. Damit lässt sich wenig nach Universitäten differenzieren – und es wäre schwierig, alle Einrichtungen fast rein öffentlich auf einem Niveau zu finanzieren, das mit europäischen Spitzeneinrichtungen mithalten könnte, ganz zu schweigen von amerikanischen. Damit würde eine zusätzliche Uni wohl wenig zur Sichtbarkeit der Forschung in Österreich beitragen.

Lohnende Debatte

Eine Entscheidung für eine neue Universität würde auf Jahrzehnte Ressourcen binden und lässt sich nicht leicht rückgängig machen. Ein praktischer Vorschlag wäre es, durch eine empirische Bedarfsprüfung und den Einbezug aller Akteure – ähnlich etwa wie für Fachhochschulen notwendig – die besten Wege gegen den Fachkräftemangel zu finden. Unternehmen, Wirtschaftskammer, Schulen und Hochschulen des Landes, Landesverwaltung, Fördereinrichtungen, et cetera könnten auf Basis empirischer Befunde zu Angebot und Nachfrage und eines gemeinsamen Verständnisses über zukünftige Herausforderungen die besten Lösungen diskutieren. Ein solcher Prozess könnte Teil der "smarten Spezialisierungsstrategie" des Landes Oberösterreich sein und immer noch zu einer TU Linz führen, sollte sie sich doch als das geeignetste Mittel herausstellen.

Österreich insgesamt könnte ebenso von einer Debatte über Maßnahmen profitieren, wie unsere Forschung international sichtbarer wird, um attraktiv für talentierte Studierende, Forschende und Hightech-Unternehmen zu sein. Gegenwärtig scheint es unsicher, wohin sich das System entwickelt: Wollen wir wie in den Niederlanden eine geringere Anzahl von international sichtbaren Universitäten (sechs unter den Top 100 im Leiden-Ranking) oder wie in Israel ein hervorragendes Spitzeninstitut (Weizman-Institut an achter Stelle weltweit) und dafür mehrere international nicht so sichtbare Universitäten? (Jürgen Janger, 6.9.2020)