Annalena Baerbock und Robert Habeck sind seit Jänner 2018 die Vorsitzenden der deutschen Grünen. Längst agieren die beiden auf Augenhöhe.

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Annalena Baerbock fängt an, Robert Habeck folgt." Es war, diese Woche nach der Herbstklausur der deutschen Grünen, nur ein organisatorischer Hinweis, wer bei der Abschlusspressekonferenz zuerst reden würde.

Ein bisschen jedoch stand die kurze Szene für die allgemeine Lage bei den deutschen Grünen. Und sie zeigte, wie sich das Kräfteverhältnis bei der Ökopartei verändert hat.

Seit 2018 sind die beiden Realos Baerbock und Habeck die Chefs der deutschen Grünen, laut Satzung und Selbstverständnis völlig gleichberechtigt. Doch lange Zeit gab es eine deutlich sichtbare Schieflage. Habeck war der Superstar, dem der Applaus und die Herzen zuflogen. Baerbock hingegen galt manchem als seine bessere Assistentin.

Die 39-Jährige selbst hat das nie so gesehen. Schon in ihrer Bewerbungsrede am Parteitag im Jänner 2018, als sie gegen Anja Piel antrat, sagte sie: "Wir wählen nicht nur die Frau an Roberts Seite, sondern eine neue Bundesvorsitzende."

Das passierte dann auch, aber danach hieß es: Vorteil Habeck. Die Journalisten drängten sich um den neuen Chef, immer sollte er die Fragen beantworten. Alles schien höchste Priorität zu haben: seine politischen Ansichten ebenso wie seine verwuschelten Haare und die Tatsache, dass Habeck seine Hemden selbst bügelt.

"Die Frau vom Habeck"

Der studierte Philosoph war der interessante und neue bunte Hund im gelegentlich recht grauen Berliner Politbetrieb. Er schaffte es bald zu beachtlicher Popularität. Bei seiner Co-Chefin hingegen fragten sich viele zunächst: "Baerbock, wer?" Oder sprachen "von der Frau vom Habeck".

Doch Baerbock war nicht gewillt, diese überholte Rollenverteilung hin- und den Platz in Habecks Schatten einzunehmen. In Berlin war sie zu diesem Zeitpunkt ohnehin besser vernetzt als er. Habeck kam als Umwelt- und Landwirtschaftsminister von Schleswig-Holstein in die deutsche Hauptstadt, er ist bis heute nicht Mitglied des Deutschen Bundestags. Baerbock hingegen, die mit vollem Namen Annalena Charlotte Alma heißt, hat seit 2013 ein Mandat.

Sie stammt aus einem kleinen niedersächsischen Dorf in der Nähe der Landeshauptstadt Hannover. Politisiert worden ist sie schon früh, die Eltern nahmen sie mit zu Anti-AKW-Demonstrationen. In ihrer Jugend betrieb sie Trampolinspringen als Leistungssport und hat aus dieser Zeit einiges Förderliche für die politische Karriere mitgenommen: Beherrschung und Disziplin.

Schülerzeitungsreporterin

Zunächst fasste Baerbock den Journalismus ins Auge und schrieb für eine Schülerzeitung. Doch dann studierte sie Politikwisschenschaft, öffentliches Recht und Völkerrecht, wurde 2005 Mitarbeiterin der Grünen-EU-Abgeordneten Elisabeth Schroedter. 2005 trat sie den Grünen bei.

Bevor Baerbock in den Bundestag einzog, arbeitete sie schon als Referentin für Außen- und Sicherheitspolitik in der Grünen-Fraktion. Baerbocks Ehemann, mit dem sie zwei Töchter hat, arbeitete auch mal als Wahlkampfmanager bei den Grünen, jetzt ist er bei der Deutsche Post DHL Group.

Fleißig sei sie, hört man bei den Grünen über Baerbock. Diszipliniert, immer gut vorbereitet. Doch bei der Aufzählung ihrer Vorzüge schwang anfangs oft ein selbstverständlich nicht ausgesprochener Tenor mit: Ihr fehle halt leider das Charisma, das "der Robert hat". Baerbock müsse sich die Dinge härter erarbeiten, ihm hingegen fielen sie einfach in den Schoß. Doch dann begannen sich die Gewichte zu verschieben.

Talkshow-Königin 2019

Sie ist der eigentliche Boss, heißt es längst bei den Grünen. Sie hält den Laden am Laufen, ihr ist zu verdanken, dass die Grünen sich nicht mehr in Flügelkämpfen zerfleischen wie früher. Und was die große Bühne betrifft: Der Branchendienst Meedia hat nachgezählt, 2018 war noch Habeck der Talkshow-King der deutschen Politik, 2019 entthronte Baerbock ihn.

Erzählt wird auch gern, dass selbst Kanzlerin Angela Merkel von der Sachkenntnis Baerbocks in Klima- und Umweltfragen beeindruckt war. 2017, nach der Wahl, trafen sich die beiden immer wieder bei den Sondierungsgesprächen für eine Jamaikakoalition aus Union, Grünen und FDP. Aber daraus wurde ja bekanntlich dann nichts.

Frage der Verantwortung

An den Grünen lag es nicht, sondern an der FDP, die dann doch nicht regieren wollte. Dass ihre Partei bereit ist, Verantwortung zu übernehmen, daran lässt Baerbock keinen Zweifel. "Ich mache Politik, um sie zu verändern, und nicht nur, um zu versprechen", sagt sie. Nebst Klimaschutz zählt der Kampf gegen Kinderarmut zu ihren Schwerpunkten.

Die Zeit, so scheint es, arbeitet für Baerbock. Während Habecks oft ausschweifende philosophische Reden dann manchmal doch ein bisschen anstrengen, beherrscht Baerbock kurze, klare Ansagen. Als sie und Habeck sich im November 2019 beim Grünen-Parteitag zur Wiederwahl stellten, bekam er 90,4 Prozent Zustimmung, sie 97,1 Prozent.

Die Geschlechterfrage

Zwar liegt Habeck in der Frage der Kanzlerkandidatur in allen Umfragen nach wie vor vorne. Doch viele bei den Grünen können sich mittlerweile auch Baerbock als Kanzlerkandidatin für die Bundestagswahl 2021 vorstellen.

"Es wird bei der Nominierung auch die für uns sehr wichtige Geschlechterfrage auf den Tisch kommen", sagt ein Berliner Grüner und fügt hinzu: "Nicht nur diese spricht für Annalena."

Auch Thorsten Faas, Politologe an der Freien Universität Berlin, hält Baerbock mit Blick auf Olaf Scholz (SPD) und den noch unbekannten Bewerber von CDU/CSU nicht für die schlechtere Wahl: "Union und SPD werden mit männlichen Kanzlerkandidaten in den Wahlkampf ziehen. Davon würden sich die Grünen mit einer Kandidatur Baerbocks deutlich abheben und so punkten. Hinzu kommt: In puncto Bekanntheit und Beliebtheit sind Baerbock und Habeck nicht weit auseinander, innerparteilich dürfte sie sogar leicht vor Habeck liegen."

Die beiden selbst halten sich bedeckt und weichen bei Fragen zur Personalentscheidung noch aus. Zwar erreichen die Grünen in Umfragen nicht mehr so hohe Werte wie 2019, als sie auf 27 Prozent kamen und Nummer eins waren. Aber sie haben sich bei 20 Prozent stabilisiert. Und das ist zu viel, um ohne Kanzlerkandidaten oder -kandidatin ins Rennen zu gehen. (Birgit Baumann aus Berlin, 6.9.2020)