In den heutigen, den so bigott puritanischen Zeiten hätte es einer wie Jochen Rindt schwer. Nicht nur, weil er rauchte. Aber deshalb natürlich auch.

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Zu Jochen Rindt ist von allen alles längst schon gesagt worden. Und dennoch redet es sich immer noch gut über den jungen Mann, der nun auch schon seit 50 Jahren tot ist. Oder auch nicht. In Graz lassen sie jetzt Straßenbahnen fahren mit dem bekannten Gesicht unterm offenen Helm und der schreienden Aufschrift: Jochen Rindt lebt!

Er ist nicht der Einzige, von dem das erzählt wird. Warum das so ist, lässt sich, wie alles Diesbezügliche, nur schwer oder gar nicht erklären. Sonst wäre es ja kein Mythos. Denn das sagt man auch: Jochen Rindt ist ein Mythos. Ein österreichischer noch dazu. Und einer, der von den guten, den weltläufigeren Dingen des Landes erzählt.

Damals war das Land richtiggehend hungrig nach solchen Erzählungen. Nach zwanzig Jahren großer Koalition und vier Jahren schwarzer Alleinregierung war Österreich sich selber ein wenig zu eng, zu miefig geworden. Mit der Nationalratswahl am 1. März 1970 begann, mit freundlicher Duldung der FPÖ, die Ära Kreisky. Das große Lüften.

Ein halbes Jahr später, es war Samstag, der 5. September 1970; Training zum Großen Preis von Italien in Monza; Bremszone zur Parabolica; nach der Hochgeschwindigkeitsgeraden bei 300 km/h. Rechts vorne brach die Bremswelle. Die schnelle, aber als filigran beschriebene Neuentwicklung des Colin Chapman, der Lotus 72, brach nach links aus, prallte an die Leitplanke, brach auseinander. Jochen Rindt war wohl schon tot, als der halbe Wagen im Schotter zum Stehen kam.

"Er hat uns allen den Weg bereitet, er hatte alle Facetten einer Legende." (Gerhard Berger)

Jochen Rindt, am 18. April 1942 geboren in Mainz, war ein Kriegskind. Die Eltern kamen 1943 im Hamburger Feuersturm ums Leben, der Bub kam zu den Eltern der Mutter nach Graz, wo er – glaubt man den Weggefährten – zu dem heranwuchs, was man einen Halbstarken nennt. Einen durchs Erbe wohlbestallten, der sein überschüssiges Testosteron in schnellen Autos verschwenden konnte.

Er war, dem pubertären Bubenbrauch gehorchend, zweifellos verwegen, vielleicht sogar waghalsig. Aber in den späteren Tagen des kompetitiven Rennfahrens war er auch einer, der der Geschwindigkeit zunehmend die Sicherheit in Rechnung stellte. Im Lotus war er da fehl am Platz. Das wusste er spätestens seit 1969, als in Barcelona der hochragende Flügel brach. Und ihm die Nase. Öffentlich wetterte Rindt gegen die "Flügelseuche". Aber Weltmeister wollte er halt auch werden.

Im Jahr darauf wurde er es, im neuen Lotus 72. Monte Carlo gewann er. In Zandvoort startete er eine Siegesserie: Holland, Frankreich, England, Deutschland in Hockenheim. In Spielberg – damals sagte man in Erinnerung an die Flugplatzrennen noch Zeltweg – startete er aus der Pole, schied aber mit Motorschaden aus. Dann zog der Zirkus weiter nach Monza.

Jochen Rindt im Gespräch mit Lotus-Chefkonstrukteur Colin Chapman.
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Drei Rennen folgten danach noch. Aber keiner konnte den WM-Führenden mehr einholen. Niki Lauda – in vielem, aber bei weitem nicht allem Nachfolger von Jochen Rindt – meinte einmal: "Ich hoffe, dass mich niemand missversteht. Aber sterben und dann Weltmeister werden: Das hat es noch nie gegeben."

Man kann den Mythos Jochen Rindt natürlich innerhalb der Motorsportkoordinaten erzählen. Aber gerecht wird man ihm damit nicht. Dafür war Rindt ein zu umfassendes – wenig später wird man beginnen zu sagen: popkulturelles – Phänomen. Er fuhr ja nicht nur schnell Auto. Er inszenierte sich. Er brachte, nicht zuletzt mit seiner 1965 erstmals organisierten Jochen-Rindt-Show im Wiener Messepalast, die glamouröse Aura des internationalen Jetset ins dumpfe Nachkriegsösterreich, das so sehr angefangen hat, sich nach frischer Luft zu sehnen. Jochen Rindt riss die Fenster auf. Erzählte – in seinem merkwürdig schönbrunnerdeutsch gefärbten Steirisch – Geschichten aus der großen Welt. Er konnte einem sagen, wo Kyalami liegt, der Circuit Mont-Tremblant, Watkins Glen.

Und Le Mans. Das legendäre 24-Stunden-Rennen gewann er 1965. Ein dreiviertel Jahr zuvor hatte sich der Dichter Konrad Bayer entleibt. Der schrieb schon 1956: "der held von le mans / der held von le mans / der held von le mans / wurde unter den 10 praetoren / vorne angemalt."

"Für uns war er der erste Astronaut in Österreich." (Heinz Prüller)

Bayer mit seinen Freunden – die sogenannte Wiener Gruppe um H. C. Artmann, Gerhard Rühm, Oswald Wiener – taten mit Worten, was Rindt mit dem Gasfuß tat. Es war die Zeit, die sich zum Rock ’n’ Roll bewegte. Sex and Drugs kamen hinzu. Am 3. Juli 1969 fand man den Stones-Gitarristen Brian Jones tot in einem Schwimmbecken.

Es war eine insgesamt gefährlich drogengestützte Zeit. Aber auch eine ungemein optimistische. Am 20. Juli 1969 landeten Neil Armstrong und Buzz Aldrin auf dem Mond. Nichts schien unmöglich. Nicht einmal, dass Österreich einmal ein luftiges Land werde.

Jochen Rindt im Lotus 72C Ford gewinnt am 5. Juli 1970 den Grand Prix von Frankreich.
Foto: imago/Schlegelmilch

Jochen Rindt war, weit über seinen Tod hinaus, das Gesicht dazu. Einer ganzen Generation – Boomer nennt man sie heute – galt er als die Verkörperung des Jugendgefühls: der offene Helm, die hochgezogene Gesichtsmaske, die struppigen Haare, die gesichtsdominante, in Barcelona gebrochene Nase. Jochen Rindt war, wie man so sagte, ein wilder Hund. Ein Draufgänger im umfassenden Sinn.

Er tat Dinge, die in der heutigen, so bigott puritanischen Zeit unters Verdikt strengsten Verpönens und Ächtens fielen. Er rauchte sogar! In aller Öffentlichkeit, lässig lehnend in der Boxenstraße. Machte gar Werbung für Zigarren. "Weil Zigarrenrauchen zu sportlichen Männern passt", hieß es in einer Annonce. Er passte in die prononcierte Machowelt der Rennstrecke. Das Bild der Boxenstraße war geprägt von atemberaubenden Frauen in noch atemberaubenderen Miniröcken.

1967 heiratete er die Finnin Nina Lincoln, die umgehend selber zur Ikone wurde. Die Nina-Rindt-Kappe – eine Kopfbedeckung wie ein halb aufgeblasener Lkw-Schlauch – war eine Zeit lang ein Must-have für viele Mädchen. 1968 kam Tochter Natascha zur Welt. Vater Jochen hatte nun den Plan, zu überleben und sich mit Bernie Ecclestone ins Motorsport-Business zu begeben. Stattdessen musste er ein Mythos werden.

Zum Mythos gehört ein Sänger, der unermüdlich redet und redet und redet, bis das Reden klingt wie eine Litanei. Heinz Prüller, ein Jugendfreund und treuer Begleiter, hat das mit bewundernswürdiger Ausdauer getan. 1995, zum 25. Todestag, erschien sein Jochen Rindt – der James Dean der Formel 1.

"Er war ein Idol, für Österreich, für die ganze Welt." (Emerson Fittipaldi)

Darin findet sich die schöne Passage, in der Prüller den alten Freund auf dem Grazer Friedhof besucht: "Neben Jochen liegt seit 1987 der Volksschauspieler Rudolf Carl. Er ist 88 Jahre geworden. Jochen nur 28. Und irgendwie denkst du: Wir sind alle in die Jahre gekommen, alle älter geworden – nur er ist jung geblieben. Jochen lives."

Zwei Wochen nach Rindt, am 18. September, starb Jimi Hendrix; am 4. Oktober Janis Joplin. Am 3. Juli 1971 folgte Jim Morrison. Der sang: "Break on through to the other side." (Wolfgang Weisgram, 5.9.2020)